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Die Kinderfresser-Bar

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Die Kinderfresser-Bar

Montag, 3. Oktober 2011

Piraten sind Käse in der Falle des ULD

Das ULD hat sich mit der Meinung in der Öffentlichkeit positioniert, Social Plugins wie der Like-Button seien datenschutzwidrig, weil sie Daten (bspw. die IP-Adresse) in die USA weiterleiten. Nun haben die Piraten Schleswig-Holstein ihre Facebook-Fanpage gelöscht, weil sie "nicht der Käse in Facebooks Datenfalle" sein wollen - und haben sich damit eine falsche Agenda aufzwingen lassen.

Ich will hier gar nicht die Rechtsmeinung des ULD zerlegen. Nur soviel in Kürze: Zum einen macht das ULD IP-Adressen zu einem personenbezogenen Datum, obwohl stark umstritten ist, ob eine IP das ist - immerhin verweist sie bestenfalls auf einen Anschluss. Aber man braucht nunmal ein personenbezogenes Datum um ein Datenschutzproblem behaupten zu können. Zweitens konstruiert das ULD eine Weitergabe dieses angeblichen personenbezogenen Datums durch die Einbindung von externen Inhalten auf der eigenen Seite.

In technischer Hinsicht ist das Quatsch - der Webseitenbetreiber gibt überhaupt keine Daten an Facebook weiter  - das macht vielmehr der User selber, indem sein Browser den entsprechenden Code von den Servern von Facebook lädt.

Und genau hier liegt der Knackpunkt und die Gefahr:

Das Wesen des Netzes ist die Vernetzung! Die Argumentation die das ULD hier gegen Facebook fährt ist vernetzungsfeindlich und lässt sich auf jede Einbindung von Content von externen Dritten anwenden.
  • Youtube-Videos auf der eigenen Webseite?
  • Werbung, die von dritten Servern geladen wird?
  • Und wie ist das mit Links? Wenn ich dafür verantwortlich bin, dass ein User sich das eingebettete Social-Plugin lädt, bin ich dann nicht auch verantwortlich, wenn der User einen eingebetteten Link anklickt der vielleicht nicht nach den Datenschutzvorstellungen des ULD spielt?
  • Darf ich dieses Blog führen, das Google irgendwo in den USA hostet? Immerhin ist in dem Moment wo du diesen Artikel aufgerufen hast, deine IP-Adresse dorthin übermittelt worden
  • Wie ist das mit eMails, die im Header häufig die IP-Adresse des Absenders mitführen? Darf ich nur noch eMails innerhalb Deutschlands verschicken?
Das ULD versucht über den Umweg Datenschutz nationalstaatliche Grenzen im Internet einzuziehen und folgt dabei getreu dem alten Prinzip: Am deutschen Datenschutzwesen soll die Welt genesen. (siehe auch: Datenschutz als Falle)

Dabei legt es die Axt an die Wurzel des Netzes, nämlich an die Möglichkeit der Vernetzung selbst an und negiert deren internationalen Charakter. Deutschland wird so noch ein Stück internetfeindlicher als bisher, die Haftungsrisiken für den Betrieb einer Website steigen weiter und wir koppeln uns ohne Not von einer Entwicklung ab, die die Zukunft ist. Worum geht es wohl im Informationszeitalter? Was wird die Basis für kulturelle, politische und wirtschaftliche Relevanz auf dieser Welt sein?

Wir beklagen uns darüber, dass es kein deutsches oder europäisches Google gibt, kein Facebook und keine sonstigen Projekte in diesen Dimensionen - ja warum wohl? Weil Institutionen wie dem ULD Relevanz eingeräumt werden, wenn sie völlig an der veränderten Realität vorbei ihren Dogmatismus zementieren.

Wenn die Piraten Schleswig-Holstein jetzt ihre Facebook-Fanpage gelöscht haben, dann werden sie - um in ihren Worten zu bleiben - zum Käse in der Falle des ULD, denn sie adeln mit ihrem Kniefall vor der Meinung des ULD einen unreflektierten Datenschutzfundamentalismus, der gefährlich ist für das Netz und schädlich für die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und Europas. 

Wir legen heute und in den nächsten 10-15 Jahren den Grundstein für die Relevanz unseres Kulturraumes im Informationszeitalter - einen Grundstein, der unsere Lebensrealität und die der kommenden Generationen ganz wesentlich bestimmen wird  - und gegenwärtig ist unser Beitrag dazu, angsterfüllt die Übermittlung von IP-Adressen in andere Länder und Fotos von Häuserfronten zu verdammen.

Und noch einmal aus einer anderen Perspektive die spezifisch die Piraten als politische Partei betrifft: 

Es ist eine zentrale Aufgabe von Parteien in unserem demokratischen System, den Diskurs aus der Gesellschaft heraus gebündelt ins politische System und aus diesem zurück wieder in die Gesellschaft zu tragen. Es ist ein kommunikatives Wechselspiel, ein Kreislauf zwischen Politik und Bürger, in dem Parteien die Aufgabe des Mittlers und Moderators übernehmen. Politik muss dorthin getragen werden, wo die Menschen sind, nicht umgekehrt. Wenn viele Menschen auf Facebook sind, dann müssen politische Parteien auch dort ihrer politischen Aufgabe nachkommen und dürfen sich nicht selbstgerecht in ihren Datenschutz-Elfenbeinturm zurückziehen.

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Sonntag, 25. September 2011

Über die LINKE und den ganzen Rest

Eine Freundin hat mir gemailt und mich gefragt: "Sag mal was hältst Du eigentlich von den "Linken"?". Weil meine Antwort - so ihre Aussage - "den Nagel auf den Kopf" treffe, veröffentliche ich sie hier.

Die "Linken" als Partei? Ein Haufen bestehend aus Leuten, die durch die Realität ihre Kritikpunkte am Kapitalismus bestätigt sehen aber nur eine Lösungsidee haben, die in der Vergangenheit schon gescheitert ist.

Die LINKE ist von gestern, ist aber zur Notfallheimat von Teilen derjenigen geworden, die das unsoziale und daher sinkende Schiff SPD verlassen haben; im Osten genießt sie eine gewisse melancholische Verwurzelung, weil sie letzter Repräsentant der Vorzüge einer Zeit ist, in der "alles besser war" - jeder einen Job hatte, Bahnfahren fast kostenlos war, nur mit der Freiheit wars nicht gut bestellt. Das macht aber für denjenigen, der kein Gegner des Systems war (und daher selten verfolgt wurde) im Vergleich zu heute teilweise wenig Unterschied, weil die jetzige wirtschaftliche Situation ähnlich freiheitsbeschränkend ist. Die LINKE wird dort auch gewählt aus einer gewissen Wut und Enttäuschung heraus - der Westen entpuppte sich nicht als das freiheitliche Schlaraffenland, das viele - aus welchen Grünen auch immer - erhofft hatten, und den Nachfolger der damaligen Einheitspartei zu wählen enthält ein auf die Vergangenheit gerichtetes Protestmoment.

Ein anderer Teil der SPD-Flüchtigen - der Größere - hat die GRÜNEN stark gemacht, weil sie noch das einzig Wählbare sind - aber doch auch nicht so richtig.

Letztlich leiden aber ganz besonders die LINKEN an einem Problem, das alle etablierten Parteien betrifft - nämlich das Bedürfnis der Bürger nach einer Idee, einem Ziel, einem Überbau, in der politisches und gesellschaftliches Handeln sich einbetten lässt und einen Sinn erhält. Wenn es keinerlei gesellschaftliches Agreement gibt, einen gemeinsamen Mythos, dann fehlt jede Grundlage um "richtig" und "falsch" oder die Sinnhaftigkeit von Geschehnissen zu beurteilen. Alles wird beliebig, Parteien konturlos, Menschen orientierungslos.

Die SPD baut den Sozialstaat ab, die CDU steigt aus der Atomkraft aus, die GRÜNEN sind gegen kostenlosen Nahverkehr und eine Partei wie die PIRATEN, die ehrlicherweise erst seit 2009 so richtig existiert, kann ohne jede politische Erfahrung mit einer zentralen politischen Idee - Politik anders machen, transparent, Bürger beteiligen - aus dem Stand rund 9% holen.

Wir sind mitten drin in einem der größten Umbrüche der menschlichen Geschichte - in wirtschaftlicher, sozialer, kommunikativer, staatlicher und gesellschaftlicher Art - und niemand scheint in der Lage zu formulieren wo wir hinwollen - als Land, als Gesellschaft, als Menschheit. Die Nationalstaaten erodieren, weil sie immer machtloser werden gegenüber den Geschehnissen und so an sozialer Bindungskraft verlieren, die Religionen nutzen die Chance für ein gewisses Revival als Ordnungsstruktur, aber so richtig funktioniert und gefällt das auch nicht.

Die Entstehung einer neuen Öffentlichkeit an der jeder partizipieren und jeder mit jedem kommunizieren kann, entzieht allen auf hierachischer Kommunikation basierenden Institutionen den Boden - Diktatoren, Parteien, Kirchen, Medien - es trifft sie alle gemeinsam, gleichzeitig und brutal und sie finden keinen Weg, sich  jener neuen Realität anzupassen, die sie jeden Tag weniger begreifen. Die großen Erzählungen die die Basis jeder Gesellschaft bilden und von jenen Institutionen getragen wurden, verblassen, ohne dass neuen formuliert und kommunziert werden. Es gibt keine glaubwürdigen öffentlichen Personen denen man folgen oder von denen man sich abgrenzen kann und die unserem gesellschaftlichen Streben Kontur und Richtung verleihen.

Da ist ein ständig wachsendes Vakuum das die etablierten Parteien und der politische Diskurs nicht mehr zu füllen vermögen - es lässt sich in gewissem Rahmen mittels Angst instrumentalisieren, aber das kommt so langsam auch an seine Grenzen. Das betrifft die LINKE besonders stark, weil sie nicht bloß keine Idee hat, sondern - schlimmer noch - halb resigniert, halb trotzig eine Idee propagiert, die bereits gescheitert ist - und nichts ist so unsexy, wie Anhänger einer verbrannten Ideologie zu sein.

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Donnerstag, 22. September 2011

Wir sind nicht sexistisch - ihr seid es!

Eine andere Perspektive zum Sexismus bei den Piraten.

Es gibt ein Problem auf dieser Welt: dualistische Geschlechterrollenbilder, in die Menschen auf Grund ihres biologischen Geschlechtes hineingedrängt werden. Und das ist schädlich - für die eigene Psyche, wenn man dem jeweiligen Rollenbild nicht entspricht, für die eigene Stellung, wenn das Rollenbild einen diskriminiert, für die Gesellschaft insgesamt, wenn Menschen ihre Potentiale nicht entwickeln oder einsetzen, weil Mann/Frau sowas nicht tut.

Die klassische - ich nenne sie mal parteipolitisch zugespitzt - Grüne Lösung ist: Die Geschlechterrollenbilder sind geprägt durch eine männerdominierte Gesellschaft und die Rollenbilder zementieren eben jene Männerdominanz, indem sie diese gesellschaftliche Verteilung als Normalität transportieren und rechtfertigen. Wenn wir dies bspw. mittels Quote durchbrechen, ändern sich die transportierten Rollenbilder und die männliche Dominanz und ihr automatischer Selbsterhalt wird aufgebrochen.
Der Sinn einer Quote ist es daher nicht, eine 50/50-Verteilung sicherzustellen, sondern letztlich soll eine Quote sich selbst überflüssig machen, eine Brücke bauen in eine post-gender-Gesellschaft in dem Sinne, dass das biologische Geschlecht zwar nach wie vor existiert, aber keine relevante Kategorie mehr in sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Art darstellt. Beim Sex kommt es darauf an (wenn es einem denn darauf ankommt), ansonsten aber nicht.

Daraus folgt logischerweise, dass in einer post-gender-Gesellschaft die zahlenmäßige Verteilung von Geschlecht irrelevant wird und sich höchstwahrscheinlich von einer 50/50-Verteilung auch wieder entfernt. Die Piraten nehmen für sich vom Lebensgefühl her in Anspruch, dort weitgehend angekommen zu sein - da wir überwiegend im Geiste der Gleichberechtigung sozialisiert sind, ist das auch plausibel. Und aus diesem Lebensgefühl heraus entstehen meinem Eindruck nach Aussagen wie die von Andreas '@rka' Baum:
Wir wollen Frauen nicht durch eine Quote diskriminieren.
WIESO WILL MICH JEDER ZWINGEN IN EIN PARLAMENT ZU GEHEN NUR WEIL ICH TITTEN HABE? ICH RASTE AUS.
Frauen in der Piratenpartei müssen darum kämpfen, zu beweisen, dass sie nicht benachteiligt sind. Und zwar nur außerhalb der Partei.
Deshalb ist jeder Sexismus-Vorwurf gegen die Piraten, der an die zahlenmäßige Verteilung von Weibchen und Männchen anknüpft, schon in seinem Fundament völlig verfehlt und entlarvt zugleich jene beunruhigende Tendenz, Gleichberechtigung zu quantifizieren und so das Denken in Geschlechterkategorien zu zementieren. Die Quote - gedacht als Instrument zur Überwindung von Geschlechterrollenbildern - verkommt zum Zahlenbeweis einer vordergründigen Gleichberechtigung, zu einer gefälligen Fassade, die die wahren Verhältnisse verdeckt.

Wenn bei den Piraten weniger Frauen als Männer vertreten sind (das genaue Verhältnis ist unbekannt, weil wir das Geschlecht nicht erfassen), dann ist das nicht Resultat einer Unterdrückung von weiblichen Piraten durch ihre männlichen Kollegen, sondern Ausdruck der Realität in unserer Gesellschaft, dass nach wie vor Politik (und Technik weil Piraten sehr technophil sind) für signifikant weniger Frauen als Männern attraktiv erscheint.

In unserem Frauenanteil manifestiert sich somit nicht ein Sexismus der Piraten - für uns spielt das Geschlecht eben keine Rolle - sondern der Sexismus der Gesellschaft. Unser "Fehler" ist, dass wir diese Realität ohne Beschönigung in die Gesellschaft zurückreflektieren. 

Wenn man das im Hinterkopf behält, erklärt sich auch der mediale Shitstorm - es ist nie angenehm, wenn man beim Blick in den Spiegel feststellt, hässlicher zu sein als man sich eingeredet hat.

PS: Natürlich sind auch wir Piraten nicht perfekt. Auch wenn sich viele von uns aus Fernsehen und Kirche - zwei der mächtigsten Transporteure von Sexismen - seit langem zurückgezogen haben und in diesem Internet unser eigenes Ding machen, unsere eigenen Werte setzen und uns sozialisieren, leben wir immernoch in dieser Gesellschaft und kämpfen beispielsweise bei jeder Beziehung die wir führen, die scheitert oder nie zu Stande kommt, mit den Geschlechterrollenbildern in uns. Aber wir kämpfen. Und kommen vorwärts.

Und jetzt zur Entspannung ein bisschen Nice-Guy.

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Mittwoch, 21. September 2011

Der Sexismus des Feminismus

Ich begrüße hier im Blog eine Gastautorin, Dorina Schacknat. Sie über sich: "Selbstdarstellung?? Fuck, keine Ahnung."

Mein Aufregerthema der letzten Wochen ist die als Vorwurf gemeinte Feststellung, die Piraten hätten ganz wenig Frauen und in Berlin stehe nur eine Frau auf der Landesliste. Dieser Vorwurf ist aus zwei Gründen unsinnig. 

Zum Einen lässt sich schlicht nicht nachweisen, wie viele Frauen tatsächlich Mitglied der Piraten sind, da dazu keine Daten erhoben werden. Das Merkmal Geschlecht wird auf dem Mitgliedsantrag nicht abgefragt. Letztlich wird hier daher lediglich eine Vermutung als Tatsache dargestellt. Wobei ich auch den Eindruck habe, dass bei den Piraten tendenziell mehr Männer Mitglied sind als Frauen. 

Doch wie sieht das bei anderen Parteien aus? Ich beschränke mich hierbei auf die derzeit im Bundestag vertretenden Parteien. Die Linke und Die Grünen stehen mit jeweils 37 % Frauenanteil noch am besten da. Gefolgt von SPD mit 31 % und CDU mit 25 %. Mal wieder ist die FDP der Verlierer, sie haben lediglich einen Frauenanteil von 23 %. Wir sehen also, auch die übrigen Parteien haben deutlich mehr Männer als Frauen.

Wenn der Vorwurf lediglich an dieser Stelle scheitern würde, könnte ich damit leben, aber was mich als Frau wirklich wütend macht, ist die Tatsache, dass den Piraten Sexismus vorgeworfen wird, obwohl sie genau diesen im Gegensatz zu den übrigen Parteien nicht praktizieren. Warum erheben die Piraten keine Daten zum Geschlecht ihrer Mitglieder? Weil sie dieses Merkmal nicht für relevant halten. 

Sie machen de facto keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Andreas Baum sagte den wunderbaren Satz: 
Wir wollen Frauen nicht durch eine Quote degradieren.
Vielen Danke für diesen Satz. Die Piratenpartei ist die einzige mir bekannte Partei in der BRD, die tatsächlich keinen Sexismus betreibt. Jede Quotenregelung führt zwangsläufig dazu, dass ein Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht wird. Der Feminismus hatte seine Daseinsberechtigung. Doch wenn das Ziel des Feminismus ist, Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich Chancen und Möglichkeiten zu überwinden, dann muss ich sagen, wir sind verdammt nah dran. Der letzte logische Schritt ist es, Menschen nach ihren Bedürfnisse und Fähigkeiten leben zu lassen. 

Die Piraten haben nur eine Frau auf der Landesliste, weil keine weitere kandidieren wollte und nicht etwa, weil Frau bei den Piraten nicht gewollt ist. Wie sieht da die Lösung aus? Wollen wir Frauen zwingen etwas zu tun, was sie nicht tun möchten, nur damit sich das besser im Fernsehen macht? Ist es wirklich ein Weg zur Gleichberechtigung, Mann und Frau immer und überall in einer 50/50-Quote gleichzuverteilen? 

Wenn das Ziel eine Gesellschaft ist, in der Menschen nicht auf Grund ihres biologischen Geschlechts in ein gesellschaftliches Rollenbild gedrückt werden, wird ein Feminismus, der in seinem Denken und den Argumenten in den Kategorien von Geschlechtern feststeckt, selbst zum Hemmschuh der Gleichberechtigung.

Erst wenn wir aufhören dem Merkmal Geschlecht Relevanz beizumessen, kann sich eine Gesellschaft entwickeln, in der Menschen tatsächlich gleichberechtigt sind.

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Montag, 29. August 2011

Alternativen zur europäischen Föderation?

Der Euro ist in einer Krise, denn er ist broken by design. Eine Währung in 23 Staaten, aber alle machen ihre eigene Finanz- und Haushaltspolitik und werden dabei natürlich von nationalen und nicht europäischen Interessen geleitet.

Das hat wohl auch Schäuble im Hinterkopf, wenn er sagt:
Der Euro ist eine Konstruktion, die in ihrem augenblicklichen Zustand nicht verharren kann.
Was bedeutet:
Auf dem Weg ins "Europa der Zukunft", würden die Staaten zwar immer nationale Identitäten bewahren... Aber in bestimmten Bereichen müssten sie "ein Stück ihrer nationalen Souveränität abgeben". So benötige die Gemeinschaftswährung Euro "zwingend" auch eine gemeinsame Finanzpolitik, um dauerhaft an den Finanzmärkten akzeptiert zu werden.
Eine europäische Finanzpolitik, die eine "Vergemeinschaftung des Zinsrisikos" verhindern soll, muss die Haushaltspolitik mit einschließen, zumindest in der Frage der Staatsverschuldung. Und weil fast jedes politische Handeln Geld kostet, ist der Haushalt der heilige Gral staatlicher Souveränität. Wer den Geldhahn kontrolliert, der ist auch mittelbarer Herr über fast jeden andere politischen Bereich.

Schon letztes Jahr deutete sich eine Entwicklung in diese Richtung an und seinerzeit gab Westerwelle zu bedenken:
Nicht die Europäische Kommission beschließt die Haushalte, sondern der Deutsche Bundestag und die nationalen Parlamente. Das zählt auch zum Kernbestand der Souveränität der Staaten.
Ganz ähnlich hat sich auch das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil geäußert (Rn. 256), wenngleich es sich implizit die letzte Entscheidung selbst vorbehalten hat. Wenn Schäuble also von einem "Stück ihrer nationalen Souveränität" spricht, ist das noch geradezu beschönigend - Herzstück würde es besser treffen.

Man kann in der Auflösung der nationalen Souveränität ein Problem sehen, wenn man eine nostalgische Ader hat. Das aber wäre kurzsichtig, denn die Probleme unserer Zeit sind auf nationaler Ebene ohnehin nicht mehr zu lösen. Sogar Merkel spricht daher seit kurzem von "mehr Europa".

Mein Problem ist ein anderes: Die EU hat zwar durchaus demokratische Züge, die mit jeder Änderung der europäischen Verträge auch immer weiter ausgebaut wurden. Aber es fehlt noch immer viel zu viel. 

Es gibt zwar ein Parlament, aber das Wahlverfahren genügt nicht dem Anspruch an eine gleiche Wahl, weil Stimmen aus kleineren Staaten signifkant mehr Gewicht haben als die aus den Großen. Das Parlament hat auch kein Initiativrecht, d.h. es kann nur diskutieren und beschließen, was ihm von Kommission und Ministerrat vorgelegt wird. Die Kommission kann es zwar bestätigen, aber nicht vorschlagen und in wichtigen thematischen Bereichen wie im Wettbewerbsrecht oder der Außen- und Sicherheitspolitik hat es auch kaum Kompetenzen - das höchste der Gefühle ist eine unverbindliche Anhörung.

Ich hatte mich in der Diskussion ja bereits für eine demokratische europäische Föderation ausgesprochen (und träume damit den gleichen Traum wie Frau von der Leyen, gruselig... oder Joschka Fischer, was schon eher geht). Deshalb arbeite ich gegenwärtig an einem entsprechenden Antrag für das Grundsatzprogramm zum nächsten Parteitag.

Nun ist ja aber nichts alternativlos und in diesem Kontext frage ich mich: Welche Möglichkeiten und Alternativen sieht meine geneigte Leserschaft, um eine demokratische EU aufzubauen?

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Freitag, 12. August 2011

Ist Drogenkonsum wirklich straflos?

Auf Twitter kritisierte @zeitrafferin (Julia Seeliger) den Flyer der Berliner Piraten zur Suchtpolitik - denn dort steht als Forderung geschrieben, den gelegentlichen Konsum entkriminalisieren. Dabei haben wir doch alle schonmal gehört, Drogenkonsum sei gar nicht strafbar?

Die Kritik von Julia stimmt erst einmal, weil in einem liberalen Rechtsstaat sich jeder selbst schädigen darf, wenn er denn möchte. (Eine Konsequenz desselben Mechanismus, den ich in Datenschutz als Falle erläutert habe...)

Insofern ist das eine schlechte Formulierung im Piraten-Flyer, ohne Frage. Es geht vielmehr darum, den Konsumenten zu entkriminalisieren und nicht den Konsum (der wie gesagt legal ist). 

Davon völlig lösgelöst halte ich es trotzdem für fragwürdig, ob es klug ist zu propagieren, dass Drogenkonsum legal ist. Dahinter steckt das Bedürfnis, die eigene Position Jeder sollte ungestraft Drogen konsumieren dürfen, Recht auf Rausch argumentativ zu stützen. Und da ist es doch ein gutes Argument, dass Drogenkonsum schon gar nicht strafbar ist. (Ich teile die inhaltliche Position im Übrigen, aber das ist nicht der Punkt.)

Denn in der Realität gibt es den reinen Konsum überwiegend in Gedankenexperimenten, weil hier juristische Fachsprache und die Alltagssprache von ihrer Bedeutung nicht deckungsgleich sind. Der Jurist greift sich eine ganz bestimmte Handlung im Rechtssinne heraus (den Konsum) und attestiert ihr Legalität. Ein juristischer Laie aber läuft dann aber Gefahr zu glauben, Drogenkonsum sei unproblematisch. Der Jurist hat es ja gesagt.

Er raucht also einen Joint - Konsum ist ja legal. Leider aber hat er den Joint dabei in der Hand, ist also im selben Moment auch der Besitzer des Joints, und Drogenbesitz ist dann leider doch wieder strafbar.

Oder aber er weiß sogar inzwischen, dass er den Joint nur rauchen darf, wenn jemand anders ihn hält - weil er ihn dann nicht besitzt. Sein blaues Wunder erlebt er dann trotzdem, wenn sein Führerschein wegen Drogenkonsums einkassiert wird, weil die Behörden davon ausgehen, dass niemand in der Lage sei, zwischen Drogenkonsum und Autofahren zu trennen - das geht offensichtlich nur bei legalen Drogen. Und daher fehlt dem Kiffer dann die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges und der Führerschein ist erstmal weg.

Klar, als Jurist kann man sich jetzt darauf zurückziehen, dass der Führerscheinentzug ja keine Strafe im Rechtssinne ist. Was formaljuristisch stimmt, aber in der Realität doch ohne Bedeutung ist. Denn der Betroffene empfindet den Führerscheinverlust als eine Sanktion für sein Verhalten. Und damit als Strafe.

Fazit
Natürlich kann man sagen, Drogenkonsum ist nicht strafbar. Aber dabei sollte einem immer klar sein, dass diese Aussage nur in der juristischen Denklogik wahr ist, in der Realität man aber trotzdem mit einem Bein im Knast steht und negative Konsequenzen befürchten muss. Und unter dem Aspekt der Verantwortung muss man das auch an denjenigen vermitteln, dem man gerade erzählt, dass Drogenkonsum nicht strafbar ist.

Deshalb muss es politisch auch darum gehen, den typischen Konsumprozess zu legalisieren um eben den Konsumenten zu entkriminalisieren. Und genau das fordern auch die Berliner Piraten in ihrem Wahlprogramm und schließen dabei - völlig  konsequent - den Anbau (Cannabis-Social-Clubs) und den Besitz (Befreiung der Regelung zur geringen Menge von Ausnahmetatbeständen) mit ein.

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Montag, 8. August 2011

Datenschutz als Falle

Es gab mal eine Zeit, da war klar, wer Freund und wer Feind ist. Datenschutz war gut, Überwachung war böse. Die Netzcommunity war sich einig - heute ist sie es nicht mehr. Die Uneinigkeit, welche sich zuletzt wieder im Streit zwischen "Spackeria" und "Aluhüten" ausdrückt, ist nicht Ursache, sondern das Symptom einer Veränderung.

Was ist passiert? Wie konnte es dazu kommen?

War es wirklich die plötzliche Erkenntnis des vielzitierten Kontrollverlustes? Waren es Personen wie @plomlompom oder @laprintemps, die diese Einigkeit zerstört haben - aus welchen Motiven auch immer?

Oder sind auch diese vielmehr bloß Spielfiguren, die in Reaktion auf einen politischen Schachzug nach besten Wissen und Gewissen handeln? Was zwischen damals, als wir uns noch einig waren und heute passiert ist, kann man am besten (ideologisch neutral) als Neudefinition der Bedrohungslage bezeichnen.

Die Kampflinie Datenschützer vs. Staat haben die großen Parteien durch massives agenda-setting abgelenkt auf Datenschützer vs. Google und Facebook.

Daraus resultiert auch die Heuchelei, die Erfassung von IP-Adressen als datenschutzwidrig darzustellen, während man gebetsmühlenartig eine Vorratsdatenspeicherung fordert die erst dafür sorgt, dass eine IP auf einen Anschluss zurückzuführen ist. Dieselbe Doppelmoral durchzieht die Aufregung um die biometrische Auswertung von Facebook-Fotos, wenn im selben Moment Geheimdienste und Ermittlungsbehörden selbst eben diese Daten von Facebook abgreifen und auswerten - sicherlich auch biometrisch. 
Insofern hat ein solches Feature in Social Networks sogar ein Gutes: Es macht den Benutzern klar, was möglich ist und es verhindert die Monopolisierung von Techniken zur Datenauswertung. Heute hat man mit Facebook einen Gegner gewählt, der nicht gerade die Sympathie von Datenschützern genießt, aber dieselbe Datenschutzlogik lässt sich schon morgen beispielsweise auf Open-Source-Software anwenden, die Biometrie betreibt. Und in dieser Hinsicht halte ich es klar mit der ersten Regel der Hackerethik:
Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.
Über David und Goliath

Mir sei an dieser Stelle ein kurzer rechtlicher Exkurs gestattet, denn wenn man den dahinterstehenden Trick einmal verstanden hat, kann man ihn sehr viel leichter auch in anderen Konstellationen wiedererkennen.

Das, was hinter der ganzen Diskussionssuppe Datenschutz eigentlich steht, ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Grundrechte wiederum sind Abwehrrechte gegen den Staat. Das bedeutet sie sind dazu bestimmt, grundlegende Freiheitsräume der Bürger gegen den Staat zu schützen und diesen in seiner Machtausübung zu binden. 
Bildhaft gesprochen kommt Goliath (der Staat) in seiner Allmacht auf den wehrlosen kleinen David (den Bürger) zugestapft, der aber nicht erzittern muss, sondern das Grundgesetz zücken und damit die Angriffe von Goliath mühelos parieren kann. "Nein Goliath, du kriegst meine Daten nicht, denn meine Grundrechte schützen mich vor dir!"

Und jetzt ist es passiert, dass Goliath dieses Grundrecht nimmt, dass eigentlich David schützen soll, und sagt: "Siehe David, du hast ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Und deshalb muss ich jetzt Facebook und dir vorschreiben, was du mit deinen Daten tun und lassen darfst - nicht, dass deiner informationellen Selbstbestimmung etwas zustößt..." So wird das Grundrecht, dass eigentlich einen Freiheitsraum schützen soll zur Rechtfertigung, eben diesen Freiheitsraum zu beschneiden.
Wir dürfen nicht ein fundamentales Prinzip der Verfassung nehmen, und es gegen einen Bürger wenden!
Jean-Luc Picard 

Dieser Trick ist nicht neu. Wir kennen ihn aus der Diskussion um Paintball, Laserdrome und Flatrate-Freudenhäuser. Auch hier wird ein Grundrecht - in diesen Fällen die Menschenwürde - als Rechtfertigung genommen, um damit die Freiheit der Paintball- und Laserdrome-Spieler und Sexarbeiter zu beschneiden. Soweit der Exkurs, zurück zum Thema.

Der Fuß in der Tür

Das künstlich aufgebaute Problem Datenschutz im Internet ist nur eine weitere Kampflinie beim Versuch, einen Fuß in die Tür zu bekommen, um das Netz zu regulieren und zu kontrollieren. Es steht so in einer Reihe mit der Lüge vom Milliardenmarkt Kinderpornographie, der Lüge, die Tat des christlich-fundamentalistischen Terroristen von Oslo sei im Internet geboren (und natürlich nicht aus der Hasskultur, die geistige Brandstifer aus der bürgerlichen Mitte säen und nähren) und anderen Täuschungen.

Von all diesen Versuchen ist er aber der, mit den größten Erfolgsaussichten. Warum?

Weil er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Während Kinderpornos, Beleidigungen und Massenmord "lediglich" das Bild eines Netzes zeichnen, dass kriminell und gefährlich ist und deswegen reguliert werden muss, lenkt die Umdefinition der informationellen Selbstbestimmung darüber hinaus noch den Blick davon ab, dass die größte Bedrohung derselben nach wie vor vom Staat ausgeht und nicht von privaten Datensammlern.

Denn im Gegensatz zu Facebook oder Google, wo niemand mitmachen muss, nimmt sich der Staat gegen meinen Willen im Geheimen alle Daten über mich die er haben will - und nicht einmal nur bei mir, sondern auch bei Dritten (auch bei Facebook und Google). Und anders als Private hat der Staat die Möglichkeit, Druck und Gewalt gegen mich auszuüben, wenn ihm die Informationen über mich irgendwie missfallen.

Der gefährlichste Effekt der Umdefinition der informationellen Selbstbestimmung ist aber die Spaltung der Netzcommunity. Seitdem sich die Feinde der Freiheit in den Mantel der Datenschützer gehüllt haben, sind die Fronten nicht mehr klar und eine einst (in dieser Frage) geeinte Gruppe steht sich nun als Gegner gegenüber und betrachtet die jeweils andere Seite als Verräter des gemeinsamen Zieles.

Die Datenschützer vom staatlichen Überwachungsplänen abgelenkt, der Bevölkerung vorgegaukelt, man würde etwas für ihre digitale Sicherheit tun, das Bedrohungsszenario verzerrt, den politischen Gegner gespalten.  Ich muss sagen: Dies war ein wirklich guter politischer Trick. Ich werde ihn mir merken.

Schurken, die ihre Schnurrbärte zwirbeln sind leicht zu erkennen, aber diejenigen, die sich in gute Taten kleiden, sind hervorragend getarnt.
Jean-Luc Picard 

Für uns ist es nun wichtig, dass wir uns dieser Taktik aktiv verweigern. Wir dürfen uns nicht dazu missbrauchen lassen, den freiheitsfeindlichen Strömungen bei der Beschneidung unserer Freiheiten den Weg freizumachen, nur weil sie das Banner des Datenschutzes vor sich hertragen.

Das bedeutet:

  • Den aufgezeigten Mechanismus verstehen und nachvollziehen.
  • Erkennen und Bedenken, dass informationelle Selbstbestimmung nicht nur ein negatives Recht ist um Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre abzuwehren, sondern - wie jedes Grundrecht - auch eine positive Seite hat, nämlich das Freiheitsrecht, sich bewusst öffentlich zu machen und sich zu präsentieren.
  • Klarmachen, dass Selbstbestimmung und nicht Fremdbestimmung das Ziel sein muss
  • Für den privaten Umgang von Menschen mit Daten eine Ethikdebatte führen, diese vorleben und darüber aufklären. Deshalb auch der Entwurf von Michael Vogel und mir für eine Datenethik.
  • Für Firmen, in deren kapitalistischer Handlungslogik Ethik keinen Platz hat, bessere Gesetze einfordern, bspw. den Datenbrief und den Entschädigungsanspruch bei Datenmissbrauch
  • Uns nicht auf die Argumentation einlassen, anderen Ländern müsste man unsere Gesetze aufzuzwingen.
  • Den Schwerpunkt wieder auf den Staat als größte Bedrohung der informationellen Selbstbestimmung legen, also auf Vorratsdatenspeicherung, unverhältnismäßige Verletzungen der informationellen Selbstbestimmung wie beim Dresdner Handyüberwachungsskandal, mangelnde Datensicherheit von Behörden, SteuerID, etc.

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Sonntag, 7. August 2011

Datenethik als Richtungsweiser im Informationszeitalter

Spackos und Aluhüte, Datenschutz und Transparenz, Öffentlich und Privat. Wie muss sich unsere Gesellschaft verändern, um im Informationszeitalter zu bestehen? Und was müssen wir dabei lernen? Ein Manifest - und ein Diskussionsanstoß.


PROLOG

Die Welt ist im Umbruch, verursacht durch die aufkommende Informationsgesellschaft. Menschen tauschen Informationen mit Anderen aus - und es werden stetig mehr.

Während die Vernetzung die aufkommenden Demokratiebewegungen in aller Welt massiv unterstützt hat - was einhellig begrüßt wurde - gibt es auf der anderen Seite auch Bedenken gegenüber derselben Vernetzung, wenn es um das Verbreiten persönlicher Informationen geht.

Wie nahezu jede Sache kann Vernetzung positiv als auch negativ genutzt werden. Die negativen Auswüchse bringen immer schnell Rufe nach einem stärkeren Datenschutz hervor, häufig verbunden mit teils sehr unrealistischen Forderungen.

Viele dieser Reaktionen berücksichtigen nicht, dass sich die Welt mittlerweile geändert hat. Wir erzeugen nicht nur immer mehr Daten - auch immer mehr Menschen sind im Besitz dieser Daten. Sie führen umfangreiche Adressbücher, erstellen Videos und Fotos und stellen diese anderen zur Verfügung. Oft genug geschieht dies, ohne sich ausreichend Gedanken über mögliche Folgen gemacht zu haben.

Die große Anzahl von Datenverarbeitern macht es unmöglich, den Fluss von Daten alleine durch Gesetze regulieren zu wollen.

Gesetze sind ein wichtiges Mittel, wenn es um Datenverarbeitung durch gewerbliche Verarbeiter geht. Auf Privatmenschen jedoch sind sie kaum anwendbar. Die Hand des Gesetzes erreicht nicht die Computer Privater und im Hinblick auf Freiheit und Überwachung ist auch ein Staat nicht erstrebenswert, der im Namen des Datenschutzes seinen Bürgern bei der Datenverarbeitung über die Schulter schaut.

Die Pioniere des Informationszeitalters, die Hacker, standen schon früh vor ähnlichen Fragen. Ihre Antwort war ein Verhaltenskodex: die Hackerethik.

Dieser Kodex hat das Selbstverständnis der Hackerkultur bis heute entscheidend geprägt. Nicht, weil eine staatliche oder technische Autorität diese Regeln erzwungen hat, sondern weil sich die Mehrheit aus eigener Überzeugung an diese Regeln hält und Übertretungen missbilligt werden.

Es ist nun an der Zeit, einen Kodex für die ganze Informationsgesellschaft zu finden. Es ist Zeit für eine Datenethik.


ERSTES DATENETHISCHES MANIFEST

Du bestimmst über deine Daten.
Deine Freiheit, über die Verwendung deiner Daten selbst zu bestimmen, ist der zentrale Grundsatz. Es liegt an dir, ob du viel, wenig oder gar nichts über dich veröffentlichen möchtest. Es ist dein Recht darüber zu bestimmen und deine Pflicht andere darüber zu informieren, damit sie deinen Wunsch respektieren können.

Privatsphäre beginnt dort, wo dein Gegenüber seine Grenze zieht, nicht aber dort, wo du sie ziehen würdest.
Menschen sind unterschiedlich. Was du ohne mit der Wimper zu zucken veröffentlichen würdest, kann für einen anderen ein intimes Detail sein und umgekehrt. Du musst daher keine Daten von Personen schützen, die dies nicht wünschen - andererseits aber auf Wunsch persönliche Informationen auch dann vertraulich behandeln, wenn du es selbst nicht nachvollziehen kannst. Respektiere das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Individuums und setze nicht deine persönliche Sicht der Dinge an seine Stelle, denn auch deine Privatsphäre hängt von der Rücksichtnahme Anderer ab.

Veröffentliche keine Daten Anderer ohne Erlaubnis, wenn nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.
Spiegelbildlich zum Selbstbestimmungsrecht über deine eigenen Daten bist du in der Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht Anderer zu respektieren. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung gegenüber dem Interesse des Individuums deutlich überwiegt, beispielsweise, wenn du Straftaten, Korruption oder andere Missstände aufdecken willst. Doch auch hier solltest du abwägen, wie detailliert eine Veröffentlichung im Einzelfall sein muss, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen.

Menschen haben ein Recht auf Anonymität und Pseudonymität.
Akzeptiere, wenn jemand seine wahre Identität nicht preisgeben möchte. Versuche nicht, seine wahre Identität zu recherchieren. Solltest Du wissen, wer sich tatsächlich hinter einem Pseudonym verbirgt, respektiere den Wunsch, pseudonym zu bleiben. Behalte dein Wissen für Dich, falls nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.

Veröffentliche keine Daten, die nicht öffentlich sein sollen.
Mache dir bewusst, was Öffentlichkeit bedeutet. Sei dir immer im Klaren, was mit Daten geschehen kann, die du verbreitest. Selbst wenn sie nur für eine kleine Gruppe gedacht waren, rechne damit, dass sie sich weiter verbreiten könnten. Gehe immer davon aus, dass die verbreiteten Daten eine erheblich größere Zielgruppe erreichen könnten als du ursprünglich beabsichtigt hast. Deswegen überlege stets, ob du sie wirklich - und wenn ja - ob du sie in dieser Form verbreiten möchtest.

Öffentliche Daten sind öffentlich, du kannst sie nicht zurückholen.
Was einmal öffentlich ist, kann nur schwer bis gar nicht aus der Öffentlichkeit wieder vollständig entfernt werden. Daten sind frei kopierbar, und dies wird auch immer wieder nach Belieben und Beliebtheit der Daten geschehen. Führe dir das immer vor Augen, bevor du etwas veröffentlichst. Rechne daher damit, dass jede Veröffentlichung endgültig ist.

Auch wenn private Daten bereits öffentlich sind, verbreite sie nicht dem ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen zuwider weiter, es sei denn, es besteht ein berechtigtes Interesse daran.
Sollten private Daten gegen den Wunsch eines Betroffenen oder aus Versehen veröffentlicht worden sein, respektiere die Bitte des Betroffenen, sie nicht weiter zu verbreiten. Eine Ausnahme ist auch hier im Einzelfall das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit.

Jeder Mensch hat das Recht, öffentliche Daten zu nutzen und zu verarbeiten.
Öffentliche Daten dürfen von jedem genutzt werden. Sie sind eine unendliche, und jedem zur Verfügung stehende Ressource, eine Quelle für Wissen und Erkenntnis. Durch das Vernetzen verschiedener Datenquellen lassen sich viele neue Dinge erschaffen, die der Allgemeinheit nutzen können.

Deine Daten können Gutes schaffen. Entziehe sie nicht der Allgemeinheit, wenn sie deine Privatsphäre nicht bedrohen.
Du hast zwar die Freiheit über deine Daten zu bestimmen, aber bedenke dabei die damit einhergehende Verantwortung, sie wenn möglich zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Enthalte daher deine Daten der Öffentlichkeit nicht nur aus Prinzip vor, sondern nur, wenn der Schutz deiner Privatsphäre es erfordert.
Nimm als Beispiel die Diskussion um Google StreetView: Zeigt dich ein aufgenommenes Bild in einer peinlichen Pose oder könnte es dich in eine missliche Situation bringen, so hast du ein berechtigtes Interesse daran, dass dieses Bild gelöscht wird. Aber überlege dir, ob es wirklich deine Privatsphäre gefährdet, wenn ein Foto der Außenwand deiner Wohnung veröffentlicht wird, die ohnehin jeder anschauen kann. Ist nicht vielleicht der Nutzen für die Allgemeinheit ungleich größer, auf diese Daten zugreifen zu können?

Fordere nichts Unmögliches.
Auch wenn du grundsätzlich frei über deine Daten entscheiden darfst, mache dir klar, dass es technische und soziale Grenzen bei der Umsetzung deiner Entscheidung gibt. Beachte dies und stelle dich darauf ein.

Verzeihe, wo du nicht vergessen kannst.
Auch das Netz kann vergessen, aber es vergisst wenig. In diesem Rahmen muss eine Gesellschaft mehr verzeihen um den sozialen Frieden zu wahren und eine Rehabilitation zu ermöglichen. Jeder Mensch macht Fehler - je offener wir mit unseren eigenen Fehlern und Fehlern anderer umgehen können, desto besser können wir alle aus ihnen lernen.


UNTERZEICHNER
  • Benjamin Siggel
  • Michael Vogel
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Sonntag, 17. Juli 2011

Vom Feminismus zum Piratenfeminismus

Im Podcast haben @laprintemps, @mueslikind und @fasel die Frage aufgeworfen, warum Piraten keine Lust haben, über Feminismus zu diskutieren. Ich dachte, ich versuche mich mal an einer Antwort, die  - zumindest subjektiv - wahr ist. Dies ist damit ein Blogeintrag über meine Vorurteile.

Feminismus ist schlichtweg ein rotes Tuch - ein ziemlich rotes. Das Vorurteil - zumindest meines - ist, dass Feminismus ein Thema ist, dass mit Rationalität nicht zu fassen, sondern extrem ideologiegetränkt ist, über das man so wenig Witze machen darf wie über den Holocaust (zumindest ist es ähnlich gefährlich) und bei dem Mann ohnehin immer der Schuldige ist.

Die Sprache
Die These, die deutsche Sprache diskriminiere Frauen durch das generische Maskulinum - ob nun zutreffend oder nicht - hat zu solchen Absurditäten wie dem sozialen Zwang zu gender-korrekten Formulierungen geführt, die sprachästhetisch schlichtweg ein Albtraum sind. (Ich habe Gesetzestexte, da habe ich erstmal mit dem Edding den ganzen Gender-Foo rausgestrichen, um den Text dahinter verstehen zu können.) 

Auch der Versuch, formal geschlechtslose Begriffe zu finden, hat den Haken, dass die Bedeutung häufig nicht dieselbe ist; am Beispiel "Teilnehmende" statt "Teilnehmer": Teilnehmende beinhaltet für mein Sprachgefühl - anders als Teilnehmer - immer auch die Nicht-Teilnehmenden, mit anderen Worten: Wenn mir jemand sagt, die Teilnehmenden hätten X und Y gemacht, dann frage ich mich spontan - ja und, was haben die Nicht-Teilnehmenden gemacht? Teilnehmer definiert eine Gruppe anhand einer gemeinsamen Eigenschaft (an etwas teilzunehmen), während Teilnehmende einen Teil einer Gruppe beschreibt, die danach geteilt ist, ob teilgenommen wird oder nicht.

Das mag man jetzt für Millimeterfickerei halten, aber bei solchen Versuchen schlägt immer mein Sprachmanipulationsdetektor aus. Gender-korrektes Formulieren hat eine starke Nähe zu political correctness, Euphemismus-Tretmühlen und Neusprech, also dem Glauben, einen sozial erwünschten Zustand oder ein Denken dadurch herstellen zu können, dass man die Sprache ändert, in der man darüber spricht. Solche Versuche fallen bei mir auf richtig giftigen Boden und logischerweise kriegt der Feminismus von dieser Abneigung seinen Teil ab.

Die Schuld-Suggestion
Feministische Debatten leiden häufig darunter, dass einem als Mann suggeriert wird, man sei daran Schuld. Beispielsweise, wenn Frau sich irgendwie unwohl fühlt. Ich nehme mal beispielhaft den Fall einer Frau, die ich nachts im Fahrstuhl auf einen Kaffee einlade und die sich dann ob der Situation (nachts, Fahrstuhl, 2m-großer Typ) unwohl fühlt.
Bin ich als Mann daran jetzt schuld? Nun, ich bin sicherlich ein kausaler Faktor, denn hätte ich sie nicht angesprochen, oder wäre ich gar nicht zu ihr in den Fahrstuhl gestiegen, dann hätte sie sich nicht unwohl gefühlt. Aber ganz ehrlich, ich fühle mich deswegen nicht schuldig und ich habe keine Lust, mir suggerieren zu lassen, ich müsste mich deswegen schuldig fühlen, denn ich habe mich innerhalb der Grenzen sozial angemessenen Verhaltens bewegt. Wenn sich Frau dabei unwohl fühlt (weil sie mir unterstellt, ich würde im nächsten Moment gewaltsam über sie herfallen), dann ist das - um es ganz deutlich zu sagen - das Problem anderer Leute.

(Wenn ich das vorher weiß und einen guten Tag habe, nehme ich auch auf solche individuellen Irrationalitäten, die wir alle haben, Rücksicht, aber nicht aus einer Verpflichtung heraus, sondern bloß aus Nettigkeit.)

Eine andere Facette, die glücklicherweise seltener anklingt, ist das generationenübergreifende Verantwortungsdenken. Genausowenig, wie ich (Schöpfungsjahr 1986) dafür verantwortlich oder schuldig bin, dass Nazideutschland Millionen Menschen umgebracht hat, bin ich dafür verantwortlich, dass Generationen vor mir Frauen diskriminiert haben. Die Kriege meiner Eltern sind nicht die meinen und ich bin nicht für sie verantwortlich, sondern bloß dafür, aus ihnen für mein eigenes Tun zu lernen.
Deshalb kann ich es gar nicht leiden, wenn mir gesagt wird, es sei nur fair, wenn ich als Mann gegenüber Frauen benachteiligt werde, immerhin sei Frau über Generationen von Männern benachteiligt worden. Ich wehre mich gegen eine Weltsicht, in der das eine mit dem anderen zu tun hat in der das eine als Rechtfertigung für das andere akzeptiert wird.

Die Aggressivität, die Abwertung von Männern und der absolute Wahrheitsanspruch
Der feministische Diskurs wird häufig mit einer verbissenen Aggressivität geführt, der keine alternativen Standpunkte duldet und im Manne einen generellen Feind sieht, der überall gegenwärtig ist, sogar in der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung. Die Wortschöpfung rape culture ist dafür ein gutes Beispiel.

Wer dagegen argumentiert, wird mit einer Aggressivität angegangen, die nicht auf den argumentativen Diskurs sondern die Diskreditierung des Gegenübers abzielt - als Frauenfeind, Maskulist, Biologist und andere -ismen. Frauen, die den entsprechenden feministischen Denk- und Handlungsstrukturen nicht folgen wollen (bspw. sich für die Rolle der Hausfrau entscheiden) sind schlichtweg von den Männern so indoktriniert, dass sie sich nicht frei für den "richtigen Weg" entscheiden können. Das ist ein typisches Argumentationselement, um seine Position jeder Überprüfung zu entziehen und unangreifbar zu machen. Und sowas kann ich einfach nicht leiden. Wer so argumentiert, kann alleine spielen.

Ausblick
Ich könnte das noch ein wenig fortführen, Stichworte Gleichberechtigung/Gleichstellung/Freiheit und Sex/Macht. Aber dazu fehlt mir gerade die Motivation, später vielleicht mal.

Wichtiger ist mir nämlich, eines festzuhalten: Das, was gegenwärtig unter dem Schlagwort Piratenfeminismus diskutiert wird, entspricht - zu meiner Überraschung - diesen Vorurteilen nicht. Vielmehr empfinde ich den Podcast als einen Einstieg in einen rationalen, unverkrampften und offenen Diskurs, in dem vielleicht auch wir Piraten neue Wege anbieten können. Ich bin gespannt.

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Samstag, 9. Juli 2011

Ein Gespenst geht um in Europa

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst Echter Demokratie. In Spanien im Zuge der Demonstrationen vom 15. Mai erstmals in große Erscheinung getreten, ist der Schlachtruf ¡Democracia Real Ya! (Echte Demokratie jetzt!) dabei, sich über Spanien hinaus auszubreiten. Aufgenommen von griechischen Demonstranten, von Anonymous, diskutiert auf Facebook, findet eine Idee Einzug in immer mehr Köpfe.

Der Grund dafür, dass Bewegungen dieser Art von einem Land auf das nächste überspringen, ist nicht das Internet - zumindest nicht allein. Sicherlich, ohne die Geschwindigkeit und Breite der modernen Kommunikationsinfrastrukturen wäre dies nicht möglich - ursächlich ist aber, dass die Missstände, die Empörung, die tiefer liegenden Probleme, die Desillusionierung, die Forderungen und die Wut dieselben sind, egal ob man sich in Spanien, Griechenland, Italien oder einem anderen westlichen Land aufhält - lediglich die Intensität ist unterschiedlich ausgeprägt.

Es ist sehr erhellend, wenn man sich das Manifest der Real-Democracia-Bewegung im Detail anschaut:
Einige von uns bezeichnen sich als fortschrittlich, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht.
Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.
Es wäre ein Fehler, dies als ein Stammtisch-Politik-Gebashe abzutun. Denn das Manifest thematisiert gleich drei große Krisen der westlichen Ideologie. Eine wirtschaftlich-soziale Systemkrise, eine Sinnkrise und eine politisch-institutionelle Systemkrise.

Da ist zunächst die wirtschaftlich-soziale Systemkrise, in der die aktuelle Finanzkrise nur eine Facette unter vielen darstellt. Es ist der Glaube an die unsichtbare Hand des freien Marktes, die zu einer optimalen Allokation der Ressourcen führe, auf dem jeder gleichberechtigt eine Chance habe, an dem sich die beste Idee durchsetze, der jeden ernähre der arbeitet und so gleichsam zu einer leistungsgerechten Gesellschaft führe; dieser Glaube ist es, der sich durch die Realität seiner eigenen Folgen selbst als Farce entlarvt.

Es gibt wohl keine geschichtliche Epoche, in der der materielle Wohlstand der Menschheit einen größeren Zuwachs erfahren als in den vergangenen 100 Jahren. Trotzdem sehen wir uns konfrontiert mit einer ständig zunehmenden sozialen Ungleichheit. So besitzen 2007 in Deutschland die reichsten 10% der Bürger 2/3 (!) des gesamten Volksvermögens, während ca. 50% der Bürger über keinerlei Vermögen verfügen, sondern direkt von ihrem Einkommen leben - von der Hand in den Mund sagte man früher dazu. 1 % der Bevölkerung besitzen über 20 % des gesamten Vermögens in Deutschland – und damit mehr als die unteren 80 % der Bevölkerung zusammengenommen.

In anderen westlichen Ländern ist das ähnlich, und jedes Kind sieht, dass das nicht einmal mehr ansatzweise gerecht ist; dass niemand so viel für die Gesellschaft leistet, dass ihm gerechterweise ein so großes Stück vom Kuchen auf Kosten der Übrigen zusteht. Wenn so aber das Ergebnis des westlichen Wirtschaftssystems lautet, dann ist die einzige sinnvolle Schlussfolgerung die Fehlerhaftigkeit des Systems.

Wenn in Spanien über 40% der jungen Generation arbeitslos sind - also weder am Wohlstand der Gesellschaft partizipieren noch zu ihm beitragen dürfen, dann läuft etwas ganz gravierend falsch.

Hinzukommt, dass wir das große Dogma, das quasi-religiöse Glaubensbekenntnis Wachstum bis heute nicht überwunden haben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Medien in ihrer eigenen kultischen Zelebrierung um irgendeine Wachstumskurve tanzen - sei es nun das BIP, der Börsenkurs von Unternehmen oder der Eigenkapitalrendite der Deutschen Bank. Dabei ist spätestens seit 1978, also der Veröffentlichung der Studie Die Grenzen des Wachstums klar, dass ein grundlegendes Umdenken erforderlich ist, um die begrenzten Ressourcen dieses Planeten nachhaltig und zum Wohle der gesamtem Menschheit auf Dauer zu nutzen.

Das System des freien Marktes - zumindest in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung - ist diesen Herausforderungen erkennbar nicht gewachsen.
Ziel und Absicht des derzeitigen Systems sind die Anhäufung von Geld, ohne dabei auf Wirtschaftlichkeit oder den Wohlstand der Gesellschaft zu achten. Ressourcen werden verschwendet, der Planet wird zerstört und Arbeitslosigkeit sowie Unzufriedenheit unter den Verbrauchern entsteht.
Und das führt uns mitten in eine gesamtgesellschaftliche Sinnkrise. Wachstum kann nicht länger das Ziel sein, nur überleben und reicher werden - so man denn überhaupt zu den Profiteuren gehört - reicht nicht aus. Worauf aber soll sich das gesellschaftliche Streben dann richten? Im Manifest ist dazu zu lesen:
  • Gleichheit, Fortschritt, Solidarität, kulturelle Freiheit, Nachhaltigkeit und Entwicklung, sowie das Wohl und Glück der Menschen müssen als Prioritäten einer jeden modernen Gesellschaft gelten.
  • Es gibt Grundrechte, die unsere Gesellschaft gewähren muss: das Recht auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit, Bildung, politische Teilhabe, freie persönliche Entwicklung und das Recht auf Konsum von Gütern, die notwendig sind um ein gesundes und glückliches Leben zu führen.
Neben Freiheit, Gleichheit und Solidarität (Brüderlichkeit) - den Idealen der französischen Revolution - findet man die oben angesprochene Nachhaltigkeit sowie Wohl und Glück der Menschen und das Ziel ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Das kommt nicht von ungefähr, denn das westlich-wirtschaftliche System mag zwar zu Wohlstand geführt haben, aber es macht unglücklich und krank. Der rapide zunehmende Konsum von Anti-Depressiva und leistungssteigernden (und robotisierenden) Medikamente wie Ritalin kommt nicht von ungefähr - ohne Drogen ist dieses System für immer mehr Menschen nicht mehr zu ertragen.
Wir brauchen eine ethische Revolution. Anstatt das Geld über Menschen zu stellen, sollten wir es wieder in unsere Dienste stellen. Wir sind Menschen, keine Produkte. Ich bin kein Produkt dessen, was ich kaufe, weshalb ich es kaufe oder von wem.
Es ist nicht so, dass es für diese Probleme keine Lösungen gäbe. Eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen und Firmengewinnen kann die nötigen finanziellen Ressourcen nutzbar machen, ein bedingungsloses Grundeinkommen sowohl der zunehmenden sozialen Spaltung als auch dem krankmachenden Druck der Wirtschaft entgegenwirken und Tätigkeiten fördern, die nicht wirtschaftlich gewinnbringend, aber gesellschaftlich notwendig sind, usw. usf.

Diesen Probleme werden aber nicht angegangen, weil das politische System ungeeignet ist, echte Veränderungen durchzusetzen - letztes prägnantes Beispiel dazu ist die schwarz-gelbe Koalition in Deutschland, die in Zeiten von überschuldeten öffentlichen Haushalten, leerer Kassen und steigender Armut (mehr als 11 Millionen Bürger leben in Deutschland unter der Armutsgrenze) sich ernsthaft auf Steuersenkungen verständigt, weil das schließlich zum Profil der FDP gehört.

Diese politisch-institutionellen Krise ist der Korken, der den Geist der Demokratie, den Willen der Bürger in der Flasche hält und den dringend notwendigen Veränderungen im Wege steht.
Die Demokratie gehört den Menschen (demos = Menschen, krátos = Regierung), wobei die Regierung aus jedem Einzelnen von uns besteht. Dennoch hört uns in Spanien der Großteil der Politiker überhaupt nicht zu. Politiker sollten unsere Stimmen in die Institutionen bringen, die politische Teilhabe von Bürgern mit Hilfe direkter Kommunikationskanäle erleichtern, um der gesamten Gesellschaft den größten Nutzen zu erbringen, sie sollten sich nicht auf unsere Kosten bereichern und deswegen vorankommen, sie sollten sich nicht nur um die Herrschaft der Wirtschaftsgroßmächte kümmern und diese durch ein Zweiparteiensystem erhalten, welches vom unerschütterlichen Akronym PP & PSOE angeführt wird.
Diese Fundamentalkritik trifft nicht nur auf Spanien zu, sie ist eine generelle und zunehmend zu beobachtende Tendenz in westlichen Parteiendemokratien. Hier wirken mehrere Dinge zusammen - der Machtverlust von Politik gegenüber dem Markt, dessen Spitze des Eisberges sich kurz zeigt, wenn die EU-Staaten sich dem Diktat von Banken und Ratingagenturen unterwerfen, die zunehmende Verflechtung von Machtstrukturen zwischen Politikern, Wirtschaftsbossen, Medienmogulen und Finanzakteuren, die Abkapselung vom Bürger  und die immanente Mangelhaftigkeit starrer demokratischer Strukturen.

Die große Frage ist daher: Wie ziehen wir diesen Korken, damit wir endlich die dringenden Probleme dieser Epoche lösen können?

Klar ist: Dafür müssen wir das jetzige politische System grundlegend reformieren, wir brauchen mehr direktdemokratische Elemente und Einflussmöglichkeiten, mehr Transparenz und Kontrolle durch den Bürger, eine Entmachtung der Parteien und Hierachien. (Das alles steht so auch bereits mehr oder weniger explizit im Parteiprogramm der Piratenpartei). Die Frage aber ist, wie umsetzen? Sind die demokratischen Institutionen in Deutschland und anderen europäischen Nationen von Innen heraus überhaupt noch reformierbar? Und haben wir dafür die Zeit?

Es gibt immerhin eine Alternative: Europa. Natürlich hat die EU einen schlechten Ruf - und das überwiegend auch zu Recht. Sie ist bürokratisch und volksfern und ihr wohl größtes Problem ist ihr Demokratiedefizit. Kein vollwertiges Parlament, keine gewählte Regierung, kein den demokratischen Grundsätzen genügendes Wahlrecht, weil die Stimmgleichheit (one man, one vote) nicht gewährleistet ist und außerdem keine hinreichende Gewaltenteilung, da die Regierung (Exekutive) der Nationalstaaten auf Ebene der EU in Form des Rates der europäischen Union als Legislative auftreten und Richtlinien erlassen, die von den nationalen Parlamenten dann umgesetzt werden müssen. Über Bande zwingt damit die Regierung das Parlament zum Erlass von Gesetzen. Das kann für die Demokratie nicht gut ausgehen.

Aber die großen Probleme die wir lösen müssen, sind von Nationalstaaten ohnehin nicht mehr allein zu schultern. Nachhaltigkeit lässt sich nicht in nationalen Alleingängen herstellen, eine angemessene Besteuerung von Gewinnen bspw. ist nicht möglich, wenn die Nationalstaaten von der Wirtschaft gegeneinander ausgespielt werden können, ein Umdenken in den wirtschaftlichen Zielvorstellungen benötigt eine möglichst breite Basis und insbesondere erfordert jedes dieser Probleme, dass wir die Politik der nationalen Eitelkeiten überwinden, an denen sich das Versagen der Eliten am eindringlichsten zeigt.
Doch wenn wir uns zusammentun, können wir das ändern.
Es ist an der Zeit, Dinge zu verändern. Zeit, miteinander eine bessere Gesellschaft aufzubauen.
Wenn aber die großen Probleme, die wir zu lösen trachten, ohnehin in den europäischen Nationalstaaten die gleichen sind und im nationalen Rahmen nicht mehr gelöst werden können, wenn Bürger in Europa wegen derselben Probleme auf die Straßen gehen und sich miteinander vernetzen, wenn wir ohnehin erstmal echte demokratische Strukturen aufbauen müssen, um den Korken aus der Flasche zu bekommen - ist es dann nicht sinnvoll, gleich auf europäischer Ebene damit anzufangen und einen neuen Staat zu erschaffen, in dem wir Bürger Ton und Richtung angeben, in dem wir deshalb gerne leben und auf den wir stolz sein können?

Und wenn das so ist, ist dann nicht die Ausarbeitung und Verabschiedung einer europäischen Verfassung durch alle Bürger Europas ein logischer und lohnenswerter Weg?

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Sonntag, 12. Juni 2011

Der leise Abschied von der Netzneutralität

Gerade flatterten hier die Empfehlungen der Projekgruppe Netzneutralität der Enquete zur Frage der Netzneutralität herein. Wenig überraschend lehnt auch die Enquete den Albtraum Internetzensur ab, die Regierung hat ihn ja auch endlich beerdigt. 

Relevanter ist da schon das, was es sonst noch so zur Netzneutralität zu sagen gibt, also den gleichberechtigten Transport von Datenpaketen im Netz unabhängig von Sender, Empfänger oder Inhalt. Dies ist sicherlich einer der schwerwiegendsten Angriffspunkte auf das freie und gleiche Netz, wie wir es bisher kennen - noch gefährlicher als geheime Zensurlisten. Und da liest es sich düster:
Die Projektgruppenmitglieder diskutierten unter anderem nochmals die Gewährleistung einer angemessenen Best-Effort-Qualität neben künftig eventuell angebotenen Qualitätsklassen.
Zur Erklärung: Best-Effort ist der status quo was Netzneutralität angeht und bedeutet, dass alle Pakete gleichberechtigt transportiert werden, "so gut es eben geht". Das garantiert die Gleichheit eines jeden Teilnehmers im Netz. Und da achte man mal auf die Wortwahl - man diskutiert die Gewährleistung einer angemessenen Qualität dessen, was heute der Standard ist. Von der Idee eines neutralen Netzes hat man sich längst verabschiedet, man ist bei der Frage, ob man ein Reservat erhält - und wie groß es ist.

Besonders perfide empfinde ich aber den Verweis auf den so vollmundig angekündigten 18. Sachverständigen.
Die Projektgruppe befasste sich zudem ausführlich mit einem auf der Beteiligungsplattform eingebrachten Vorschlag, das sich ein sachverständiges Mitglied zu eigen gemacht hatte: "Nutzerseitige Differenzierung der Netzqualität ist zulässig". Darin geht es um die Frage, wer am Ende für neu eingeführte Diensteklassen bezahlen solle: Die Endverbraucher, die Diensteanbieter oder beide. Einige Mitglieder sprachen sich dafür aus, die Diensteanbieter nicht zur Kasse zu bitten, um kleine Unternehmen nicht zu hindern, ihre innovativen Produkte auf den Markt zu bringen. Auch nicht-kommerzielle Anbieter würden benachteiligt. Andere betonten, es sei sozialpolitisch nicht angemessen, lediglich die Verbraucher zahlen zu lassen.
Der Vorschlag ist dieser und an ihm zeigt sich vor allem eines: Der 18. Sachverständige will keine Qualitätsklassen, der Vorschlag hat 33 Ablehnungen, aber gerade einmal 5 Bejahungen erhalten. Die fundamentale Opposition in dieser Frage einfach auszublenden und so zu tun, als diskutiere man überhaupt nicht mehr über das Ob des Abschieds von der Netzneutralität, ist eine bewusste Irreführung und ein lahmer Versuch so zu tun, als wäre die Stimme der Öffentlichkeit für die Politik relevant. 

Was ist beispielsweise aus der expliziten Forderung geworden, das Argument der angeblich überlasteten Netze, wie es von einigen Telekommunikationsunternehmen regelmäßig weinerlich vorgebracht wird, rational zu untersuchen und mit Zahlen zu unterfüttern? So wird mit 49:4 Stimmen eine Erhebung zur Netzauslastung gefordert.

Davon findet sich kein Wort, obwohl klar ersichtlich ist, dass dieses Argument das Papier nicht wert ist, auf dem es geschrieben steht. 1997 wurde schon der unmittelbar drohende Zusammenbruch herbeiphantasiert und  dasselbe Lied wird im Loop von den Lobbyisten der Telkos gesungen. Die Katastrophe ist aber ausgeblieben und es gibt auch keine Anhaltspunkte, warum sie eintreten sollte - im Gegenteil.

Auch der Hinweis auf die Gefahr der Bildung von Kartellen im Falle der Abweichung von der Netzneutralität findet keine Erwähnung.

Eine deutliche Sprache spricht stattdessen die Wortwahl des letzten Abschnittes. Dort wird nicht von Teilnehmern am Netz gesprochen sondern von Anbietern und Endverbrauchern. Das diese Unterscheidung im Netz nicht gilt, weil es kein one-to-many sondern ein many-to-many-Kommunikationsmittel ist, wird ignoriert und der darin liegende Wert ausgeblendet.

Das wirtschaftliche Argument ist dann auch inkonsequent und widersprüchlich. Denn für einen Teilnehmer ist wenig relevant, ob er oder der andere Teilnehmer dafür zahlen soll, das seine Informationen transportiert werden - er wird so oder so benachteiligt und behindert.

Während vor wenigen Tagen unsere niederländischen Nachbarn angekündigt haben, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern, schneiden wir uns noch weiter von dem wirtschaftlichen Potential des Internets ab. 

Schon heute kommen viele Internetunternehmen nicht nach Deutschland oder wandern ab, weil der Standort rechtlich viel zu unsicher ist. Wieviele Arbeitsplätze, wieviel Innovation und Know-How wir damit verschenken, will man sich gar nicht ausmalen. Unsere Breitbandziele sind schon ein Witz verglichen mit anderen Nationen - wir verfehlen sogar die 1Mbit/s pro Haushalt, während Südkorea emsig am 1000-fachen für jeden Haushalt arbeitet. Wenn wir uns jetzt noch weiter in die digitale Steinzeit zurückbegeben, gibt es hier bald nicht einmal mehr brauchbares Internet in Deutschland, sondern nur noch eine Shopping-Mall mit Rückkanal.

Aber ist ja egal was mit Zukunftstechnologien passiert, solange wir unseren florierenden Kohleabbau haben. Damit sind wir immer gut gefahren.

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Mittwoch, 18. Mai 2011

Warum Piratenpolitik "liquid" sein muss

Claudius Holler hat seine Gedanken zum Thema Liquid Feedback niedergeschrieben. Sein Argument dass ich bei ihm herauslese ist:  LQFB kranke daran, zu viel Kompromiss zu sein. Pseudonymität statt Transparenz, Löschung von Historie statt dauerhaftes Gedächtnis. Eine Gegenrede.

Realität und Utopie

Claudius schreibt:
Fortwährende Zugeständnisse und Kompromissfindungen haben meine Freude an LQFB geschmälert. Für Bedenkenträger und Skeptiker eingeführte Änderungen hinsichtlich Anonymität, Datenschutz und Historie haben (wen wundert´s) nicht dafür gesorgt, dass die Skeptik in Euphorie umschlägt oder das Ansehen dieses Tools gesteigert. Vielleicht ist mir die massenweise Mehrnutzung von vorigen Gegnern aber auch nur entgangen, doch gefühlt wurde unsere Piraten-Instanz zu Tode kuriert.
Kein Kompromiss wird dafür sorgen, dass LQFB-Gegner auf einmal zu hochaktive Nutzern werden, während zeitgleich die Frustrate bei den Befürwortern zu stetig fallender Nutzung führt.
Das mag man so sehen oder auch nicht - vielleicht wäre in einer idealen Welt LQFB wirklich noch viel viel geiler, wenn diese Kompromisse nicht wären. 

Aber in einer idealen Welt würde auch direkte Demokratie vielleicht funktionieren, weil alle ohne Ahnung einfach mal die Fresse halten würden. In einer idealen Welt könnten wir auf Privatsphäre völlig verzichten, weil alle tolerant sind und niemand durch die Androhung sozialer Ächtung unter Druck gesetzt wird. In einer idealen Welt würde jeder zu seinen politischen Überzeugungen und Entscheidungen stehen wollen und können, weil daraus für niemanden Nachteile erwachsen würden und jeder in der Lage wäre, einen politischen sachlichen Diskurs auf einem entsprechenden Diskussionsniveau zu führen oder eben wenigstens die Fresse zu halten.

Bloß: Wir wissen, dass es meistens die anderen sind, die keine Ahnung haben. Shitstorms treffen nur die Leute, die einfach dumm und Scheiße sind und @laprintemps kann natürlich frei von Anfeindungen und PAV-Androhungen ihre politische Meinung öffentlich äußern. Ja klar. Wir leben eben einfach nicht in einer idealen Welt, weil es keine idealen Menschen gibt!

Deshalb sage ich, wir betrachten das liquid in Liquid Democracy viel zu technisch. Liquid heißt es, weil die Delegation eben nur temporär ist, sich jederzeit ändern kann und deshalb das Repräsentationselement verflüssigt.

Stimmt. Aber es greift viel zu kurz. Meine These ist: Jede große politische Idee muss in sozialer Hinsicht liquid sein, weil die Schritte die wir gehen wollen, viel zu groß sind, um sie auf einmal zu machen.

Jede neue Idee muss in sozialer Hinsicht liquid sein

Betrachten wir das doch am Beispiel Demokratie: In Spanien beginnen gerade die Unruhen von Menschen, die eine echte Demokratie fordern. Menschen, die keine Parteiendiktatur mehr wollen, sondern eine Offenheit des politischen Systems für jeden. Keine unverbindlich-freundliche Anhörung sondern Mitbestimmung. Das trifft bei den Piraten auf Sympathie - und umgekehrt die Piraten bei diesen Menschen. Aber machen wir uns nichts vor: Das wird ohne computerbasierte Willensbildung nicht realisierbar sein - aber wenn man sich traut diesen Schritt zu gehen, dann wird der Staat zu einem Projekt, das nicht mehr von denen da oben gestaltet wird, sondern von uns: Dem Bürger. 

Ich bin überzeugt, dass dann Staat und Gesellschaft freier, gerechter, mutiger und zukunftsfreudiger sein werden als heute, denn ein Großteil der Menschen ist längst weiter als ihre Herrscher, die von einer fehlerhaften, systemimmanenten Logik ausgewählt werden.

Das ist aber ein politischer Schritt, dessen Dimension man erst erkennt, wenn man ihn historisch einordnet. Generationen von Menschen sind in einem System großgeworden, in dem es die da oben gab und einen selbst. Ein System, das geprägt war von dieser Unterscheidung zwischen dem Staat und seinen Politikern oben und dem einfachen Bürger unten. Es ist genau diese Unterscheidung, die sich gerade auflöst. Und genau daher kommt der Anspruch auf echte politische Mitbestimmung, den insbesondere die junge Generation zunehmend an Staat und Gesellschaft heranträgt.

Aber diese Menschen zu denen ich auch die Piraten zähle, sind - machen wir uns nichts vor - Elite. Nicht nur häufig eine Wissenselite sondern auch eine Zukunftselite. Wir versuchen unser Weltbild differenziert neu zu denken, wir loten die Grenzen zwischen Privat und Öffentlich neu aus, stellen tief verwurzelte Denkstrukturen in Frage (Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen), stellen das freie, neugierige, selbstbestimmte und selbstmotivierte Individuum als Gegenentwurf zur permission culture in den Mittelpunkt unseres Menschenbildes und konstruieren mit Liquid Democracy ein demokratisches System, das das jahrtausende alte Prinzip der Hierachie und Weisheit des Einzelnen durch das Netzwerk und die Weisheit der Masse ablösen soll.

"Change" dauert Generationen

Das sind gigantische Ideen und Perspektiven die wir da aufwerfen. Sie sind so gigantisch, weil sie Grundfesten unserer Gesellschaft in Frage stellen, die sich über Generationen in unserem Denken und unserer Kultur verfestigt haben. Und genauso lange wird es brauchen, sie zu ändern: Generationen.

Wenn wir gut sind, werden unsere Kinder oder die Kinder unserer Kinder einmal in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Bildung, Persönlichkeitsentwicklung, Freiheit und Selbstbestimmung zu den Grundwerten gehören, die niemand mehr ernsthaft in Frage stellt. Wir werden als Großeltern von unseren Enkeln belächelt werden wenn wir ihnen erzählen, dass es früher nur eine bestimmte Gesellschaftsschicht namens Politiker gab, die politische Entscheidungen traf und die meisten Menschen nur würdig existieren durften, wenn sie ständig arbeiteten, während einige wenige in unermesslichem Reichtum und Dekadenz lebten. Sie werden sich nicht mehr vorstellen können, dass man so leben kann, weil es für sie eine Selbstverständlichkeit ist, in sozialer Sicherheit zu existieren und am Computer die Welt zu gestalten. Und wahrscheinlich werden sie diesen (unseren!) Errungenschaften nicht den nötigen Respekt entgegenbringen den wir glauben erwarten zu dürfen.

Doch bis zu Schaukelstuhl und Enkelkindern ist es noch ein weiter Weg. Wenn wir aber Elite sind, wenn wir Vordenker sind, dann obliegt uns nicht nur die Aufgabe diese Zukunft zu gestalten, sondern auch die Verantwortung, alle in diese Zukunft mitzunehmen - auch die, die nicht Elite sind. Wir dürfen sie weder zurücklassen noch überfordern. Unsere Ideen müssen wir so umsetzen, dass jeder ihnen in der Geschwindigkeit folgen kann, wie er eben kann und will. Der Aufbruch muss fließend erfolgen - eben liquid.

Das ist in meinen Augen auch das stärkste Argument, dass es für Liquid Democracy gibt. Nur Liquid Democracy ermöglicht es jedem Einzelnen, sich von dem Klassendenken Ich <=> Politiker so schnell oder so langsam zu lösen, wie er es möchte, weil jeder bei der repräsentativen Demokratie abgeholt wird und dann die Geschwindigkeit seiner Reise zum demokratisch partizipierenden Individuum selbst bestimmen kann. Liquid Democracy ermöglicht es, diejenigen einzubinden, die Mitentscheiden wollen, ohne dass diejenigen hinten runterfallen, die das nicht wollen oder können. Jeder wird eingeladen zu schwimmen, aber niemand ins Wasser gestoßen.

Genauso liquid muss es auch möglich sein, sich zu einer öffentlichen Person zu machen, damit wir diejenigen einbinden können die Öffentlichkeit wollen ohne diejenigen auszuschließen, die (noch?) nicht bereit sind, diesen Schritt zu gehen. 
Deshalb sehe ich den Entscheidung pseudonym unterwegs sein zu können nicht als eine Schwächung von Liquid Feedback sondern als eine Stärkung an. So wird Liquid Feedback besser, weil sich das System an einer weiteren Stelle verflüssigt und so jedem Teilnehmer die Freiheit gibt, genau den Platz im System zu finden, an dem er sich wohlfühlt, mit dem genau dem Grad an Selbstständigkeit und Transparenz, der ihm gefällt.

Es wäre ein politischer Fehler, diese Entscheidung zu revidieren.

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Montag, 2. Mai 2011

Die Reform der Schiedsgerichtsordnung in Heidenheim

Nachdem ich mich die letzten Posts mit der innerparteilichen Basisdemokratie und Entscheidungsfindung über das Netz befasst habe, widme ich mich heute mal den Belangen der Schiedsgerichtsordnung und versuche, die Satzungsänderungsanträge zur Schiedsgerichtsordnung aufzuarbeiten. Zugleich ist dies Grundlage und Erklärung meiner Abstimmungen zu diesem Thema in Liquid Feedback.

Worum gehts?

Zum BPT11 in Heidenheim sind eine Vielzahl von Änderungsvorschlägen eingereicht worden. Markus Gerstel hat eine grafische Übersicht erstellt, die man unbedingt parallel zum lesen des Blogeintrages auf dem Schirm haben sollte - es vereinfacht vieles :-)

Es gibt zwei Komplett-Reformen der Schiedsgerichtsordnung. Eine von u.a. Markus Gerstel (SÄA 073) und eine von Claudia Schmidt (SÄA 051). Markus Gerstel hat außerdem auch alle Veränderungen modular eingereicht, so dass sich auch differenziert über einzelne Punkte abstimmen lässt. (detailliert dazu später)

Die Schmidt-SGO

Claudia Schmidt ist stellvertretende Vorsitzende des Schiedsgerichtes des LV Berlin und - soweit ich gelesen habe - Volljuristin. Meiner bescheidenen Meinung nach hat Claudia fachlich professionelle Arbeit geleistet. Die Schmidt-SGO liest sich gut, ist von der Wortwahl und Systematik differenziert und schlägt insofern auch die Gerstel-SGO. Allerdings finde ich sie inhaltlich nicht überzeugend.

Zum einen macht die Reform das Schiedsgerichtsverfahren sehr formlastig. So soll eine Anrufung des Gerichts nur schriftlich möglich sein (§ 5 I 1), die Streitparteien müssen schriftlich informiert (§ 7 II 2) und geladen (§ 10 I 2) werden und die Zustellung (bspw. von Antragsschriften, Urteilen und einstweiligen Anordnungen und Beiladungen) soll sogar per Übergabeinschreiben oder Gerichtsvollzieher erfolgen. 

Ich halte das für einen Overkill, der Ankunft im Digitalzeitalter nicht gerecht wird. Ich sehe schonmal überhaupt keinen Grund, die Schriftform (also Text auf Papier mit Unterschrift) zu fordern. Eine signifikant höhere Beweiswirkung wird dadurch nicht erreicht und der Zugang eines Schreibens beim Empfänger wird durch einen einfachen Brief auch nicht besser beweisbar als bei einer e-Mail. Textform reicht daher völlig aus.

Bei der Zustellung fällt natürlich ins Gewicht, dass hier Fristen an den Zeitpunkt des Zuganges geknüpft sind, beispielsweise bei einer Berufung. Wenn der Zugang aber nicht beweisbar ist, kann man das gut ausnutzen, um auf Zeit zu spielen. Hier weist leider die Gerstel-SGO eine Lücke auf - die gegenwärtige SGO aber auch.

Mein zweiter Kritikpunkt ist etwas versteckt in § 9 II 1:
Zur Ergründung des Sachverhalts sind die Beteiligten verpfichtet [sic!] alle Informationen, Beweismittel und auf Nachfragen des Gerichts alle Auskünfte zu geben, die für die Sachverhaltsfeststellung erforderlich sind.
Beteiligte sind gemäß § 3 I neben dem Antragssteller und dem Antragsgegner auch Beigeladene. Mal ganz davon abgesehen, dass das im Falle eines Parteiordnungsverfahrens gegen einen Piraten auf Grund dessen Strafcharakter mit dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare kollidiert (niemand muss sich selbst belasten), finde ich es zumindest diskussionswürdig, ob das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss irgendjemanden beiladen können soll, der dann verpflichtet ist, alle Informationen, Beweismittel und auf Nachfragen des Gerichts alle Auskünfte zu geben die dieses für erforderlich ansieht.

Das sind für mich zwei Showstopper, deshalb kann ich der Schmidt-SGO leider nicht zustimmen.

Die Gerstel-SGO

Ich fasse mich kurz: Der Gerstel-SGO (SÄA 073) kann ich ebenfalls nicht in vollem Umfang zustimmen, deshalb werde ich mich gleich mit den einzelnen Modulen befassen und sie kurz erklären. Mein Abstimmungsverhalten ist bereits in der Überschrift enthalten (+/-).

Gerstel-SGO: Der Rumpfantrag (+)

Der Rumpfantrag (SÄA 013) stellt die Grundlage für die Gerstel-SGO dar. Sie ordnet die bisherigen Vorschriften sinnvoller neu an und gruppiert um, ohne jedoch signifikante inhaltliche Änderungen herbeizuführen. Zugleich ist sie Voraussetzung für alle folgenden Module. Klare Zustimmung.

Gerstel-SGO: Textform statt Schriftform (+)

SÄA 014 führt die Textform statt der Schriftform in die SGO ein, e-Mail ersetzt also den Brief. Klare Zustimmung (s.o.).

Gerstel-SGO: Besetzung der Schiedsgerichte (SÄA  061 +)

Hier gibt es zwei konkurrierende Anträge, SÄA 043 von Markus Gerstel und SÄA 061 von Michael Ebner. Ein wichtiger Unterschied ist, dass Michael die Möglichkeit für ein Kammernsystem schaffen will. Beide verfolgen aber das Ziel, die Besetzung der Schiedsgerichte hinsichtlich Handlungsfähigkeit und ausreichende Besetzung zu verbessern. Beides gute Anträge, ich bevorzuge hier wegen dem Kammernsystem SÄA 061.

Gerstel-SGO: Geschäftsordnung der Schiedsgerichte (-)

SÄA 010 man machen, allerdings finde ich die Anforderungsliste an die GO etwas unausgereift, zum Teil überschneidet sie sich aber auch mit Regelungen aus der Satzung. So soll das die GO Art und Weise der Dokumentation regeln, obwohl die Satzung bereits Regelungen in dieser Hinsicht enthält. Da das Gericht sich auch jetzt schon eine Geschäftsordnung geben kann, würde ich lieber erst etwas Erfahrung sammeln, wo konkreter Regelungsbedarf besteht, bevor ich das in der Satzung festschreibe. Daher (-)

Gerstel-SGO: Definition der Betroffenheit (+)

Ist anders als die Überschrift nahelegt, definiert SÄA 015 die Betroffenheit nicht. Der neue Wortlaut ist aber in der Tat etwas klarer, daher (+).

Gerstel-SGO: Gebühr für Schiedsgerichtsverfahren (-)

SÄA 035 führt eine Gebühr für Schiedsgerichtsverfahren ein, wenn die Anrufung erfolglos war. Grundsätzlich halte ich dies für eine gute Idee, um sinnlose, von vorn herein aussichtslosen Klagen zu sanktionieren, die allein die Ressourcen der Gerichte vergeuden. Das BVerfG verfügt in § 34 BVerfGG über eine vergleichbare Möglichkeit.

Leider aber ist der Antrag zu weitgehend. Während § 34 BVerfGG einen Missbrauch des Klagerechts voraussetzt, knüpft die Missbrauchsgebühr allein an die Erfolglosigkeit der Klage an. Dies wird zwar eingeschränkt dadurch, dass die Gebühr nicht anfällt, wenn die Entscheidung nicht einstimmig ergeht. Aber ein Gericht kann durchaus nach intensiver Diskussion einstimming eine ablehnende Entscheidung treffen, ohne dass gleich angenommen werden kann, dass die Klage rechtsmissbräuchlich war. Dann hilft nur noch die Gnade des Gerichtes, von der Missbrauchsgebühr abzusehen.

Damit wird der Rechtsschutz für jeden mit einem latenten Kostenrisiko verbunden, obwohl das Verfahren kostenfrei sein sollte. Daher (-)

Gerstel-SGO: Einstweilige Anordnungen (SÄA 026 +, SÄA 050 -)

SÄA 026 verschriftlich das Recht, einstweilige Anordnungen in der Sache zu erlassen. Dieser Antrag ist wohl einer der Interessantesten. Eine einstweilige Anordnung gibt dem Gericht die Möglichkeit, noch vor Entscheidung über eine Klage eine vorläufige Anweisung zu erlassen. Bisher ist diese Frage nicht geregelt, das Bundesschiedsgericht hat sich aber in bisherigen Urteilen auf den Standpunkt gestellt, eine solche Möglichkeit existiere und entsprechend geurteilt und Rechtsfortbildung betrieben.

Die Verschriftlichung löst diesen Streitpunkt auf und umreißt auch die Voraussetzungen klarer, unter denen eine Anordnung möglich ist. Da habe ich erstmal nichts gegen einzuwenden. Ich vertraue insofern auch auf das Gericht, von dieser Möglichkeit mit Augenmaß Gebrauch zu machen und nicht die Tugend der judical self restraint zu vergessen.

Mit SÄA 050 soll diese Möglichkeit noch weiter ausgebaut werden. Die Voraussetzungen, dass das Gericht das Verfahren bereits eröffnet und die Beschränkung der Anordnung auf den Streitgegenstand fallen weg. Davon halte ich nichts. Es macht keinen Sinn, wenn einstweilige Anordnungen erlassen werden, die Klage sich dann aber später als unzulässig herausstellt. Die Prüfung der Zulässigkeit einer Klage ist idR auch nicht übermäßig zeitaufwendig. Ebenso schwer wiegt der Wegfall der Begrenzung der Anordnung auf den Streitgegenstand.

Daher einstweilige Anordnung ja im Sinne des SÄA 026, aber (-) zu SÄA 050.

Gerstel-SGO: Amtserforschungspflicht (+)

SÄA 039 führt eine Amtserforschungspflicht für das Gericht ein. Das bedeutet, dass das Gericht nicht daran gebunden ist, was die Parteien vortragen (wie das bspw. im Zivilprozess ist), sondern auch selbstständig Informationen heranziehen und Erforschungen anstellen kann und muss (analog zum Verwaltungsprozess). Da Prozesse vor den Schiedsgerichten eher eine Nähe zum Verwaltungsprozess haben und gerade für juristische Laien eine Amtserforschungspflicht einen besseren Rechtsschutz verspricht, ein klares Ja. 

Gerstel-SGO: Nachrückregelung (+)

Wenig spannend betrifft SÄA 068 die Frage, wie mit der Situation von ausscheidenden Richtern umzugehen ist.


Gerstel-SGO: Anrufung

SÄA 070 ändert mit den Voraussetzungen an die Form die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage. Der in der bisherigen Satzung enthaltene Punkt
Unter welchen Umständen hat nach Auffassung des Klägers der Angeklagte Rechte des Klägers verletzt bzw. mit welcher Begründung wird gegen die Ordnungsmaßnahme Einspruch erhoben (Anklageschrift)
wird ersetzt durch klare, eindeutige Anträge. Ich kann die Motivation verstehen, die bisherige Formulierungskatastrophe auszubügeln, aber die Änderung ist inhaltslos. Wann ist ein Antrag klar oder eindeutig? Mir ist aus keiner Prozessordnung eine entsprechende Formulierung bekannt, weshalb es auch an Rechtsprechung dazu fehlt. Die Zulässigkeit einer Klage stellt eine Art Vorfilter dar, den man überwinden muss, damit sich das Gericht überhaupt mit der vorgebrachten Klage beschäftigt. Eine solche unübliche Gummiformulierung möchte ich da nicht drin sehen, denn es würde dann zu sehr im Belieben des Gerichtes stehen, welche Klagen es behandelt. Daher für diesen Antrag (-).

Gerstel-SGO: Zuständigkeit und Berufung (SÄA 024 +, SÄA 037 -)

SÄA 024 zieht einige Verfahren vor den Schiedsgerichten eine Instanz nach unten, so dass das Bundesschiedsgericht entlastet wird. 

Die Befürchtung, die im konkurrierenden SÄA 037 gipfelt, die Möglichkeit von der örtlichen Zuständigkeit abzuweichen wenn die Parteien es wollen, verstoße gegen Art. 101 GG, kann ich nicht teilen, weil die örtliche Zuständigkeit mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter nichts zu tun hat. So ist in der Zivilprozessordnung diese Möglichkeit ebenfalls verankert und von einem Entzug des gesetzlichen Richters kann sicher auch keine Rede sein, wenn man freiwillig einen anderen Gerichtsstand vereinbart. Da ich mir durchaus sinnvolle Gründe vorstellen kann, weshalb die Streitparteien ein anderes Gericht örtlich präferieren, pro SÄA 024 und contra SÄA 037.

Gerstel-SGO: Zuständigkeit bei Ordnungsmaßnahmen (+)

SÄA 025 weist Klagen gegen Ordnungsmaßnahmen des Bundesvorstandes zunächst den Landesschiedsgerichten zu. Dies führt zu einer Entlastung des Bundesschiedsgerichtes und garantiert eine Berufungsinstanz. Habe ich nichts gegen.

Gerstel-SGO: Schlichtung vor Verfahren (-)

SÄA 040 und SÄA 008 sollen einem schiedsgerichtlichen Verfahren eine Schlichtung (Mediation) vorschalten. Ratio dahinter ist, dass sich Konflikte so freier und weniger emotional belastend lösen lassen. Der durch Mediation gewonnene Frieden ist in emotionalen Fragen häufig von längerer Dauer als bei einem Verfahren, weil hinter rechtlichen Streitigkeiten häufig zwischenmenschliche Probleme stehen. Im Familienrecht beispielsweise ist Mediation häufig hilfreich.

Voraussetzung für eine erfolgreiche Mediation ist allerdings, dass die Streitparteien motiviert sind, eine außergerichtliche Streitbeilegung zu versuchen. Wenn jemand keine Mediation will, ist der Versuch Zeitverschwendung. Insofern gehen mir beide Anträge zu weit, da sie eine Mediation dem Verfahren verpflichtend vorschalten wollen.

Eine Mediation ist auch ohne Regelung in der Satzung möglich. Auch können die Richter im Einzelfall auf eine solche Konfliktlösung hinwirken. Daher im Ergebnis gegen beide Anträge.

Gerstel-SGO: Laufende Rechenschaftspflicht (+)

Klares Ja zu SÄA 030. Natürlich sollte das Gericht über Fallzahlen und Auslastung berichten.

Gerstel-SGO: Stellungnahmen durch Gericht erlauben (-)

SÄA 031 soll es dem Gericht erlauben, bei laufenden Verfahren die keine Verschlusssache sind, öffentliche Stellungnahmen abzugeben. Dazu ein klares Nein. Es gibt die eherne Regel, dass ein Gericht allein durch seine Urteile sprechen sollte.

Das hat seine guten Gründe. Kommentiert ein Gericht einen Fall vor dem Urteil und mischt es sich in die dazugehörigen Diskussionen ein, wird es sehr schwierig, die Unabhängigkeit und Unvorgenommenheit des Gerichtes zu bewahren. Ein Gericht soll sich ein Urteil erst am Ende des Verfahrens bilden, wenn es alle Fakten und Stellungnahmen der Parteien gehört und durchdacht hat. Durch vorzeitige öffentliche Stellungnahmen besteht die Gefahr einer zu frühen Bewertung der Umstände und Festlegung im Urteil. Selbst für Richter mit beruflicher Erfahrung ist das ein Balanceakt.  Hinzukommt, dass Recht und Politik in einer Partei ziemlich nahe beieinander liegen und so die Gefahr umso größer wird, dass die Unvorgenommenheit und Legitimtät des Gerichtes in Zweifel gezogen wird.

Ich kann die Motivation nachvollziehen, weil sie auf der Erfahrung beruht, dass das Gericht öffentlich angegriffen wurde, ohne sich zur Wehr setzen zu können. Aber das muss ein Gericht aushalten.

Gerstel-SGO: Dokumentation und Urteil (+)

SÄA 062 regelt die Dokumentationspflicht des Gerichtes ausführlicher, während SÄA 064 das Urteil regelt und u.a. festlegt, dass ein Urteil innerhalb von drei Monaten vorliegen soll. Eine gute Neuregelung und ein Beschleunigung des Rechtsschutzes ist ebenfalls wünschenswert. Zustimmung zu beidem.

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