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Die Kinderfresser-Bar

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Die Kinderfresser-Bar: Juli 2011

Sonntag, 31. Juli 2011

Wo hast du diesen bösen Feminismus gelernt?

Frage: Wo hast du diesen bösen Feminismus gelesen/gelernt? Durch zweite Hand? Durch Erzählungen? Hast du Bücher gelesen? Emma? Wo hast du dein Bild her? Würde mich echt interessieren, weil ich kenne das selber und habe irgendwann begriffen, wieviel Polemik und Propaganda dahintersteht :(

Darüber musste ich zunächst nachdenken, es gibt nämlich nicht so einen zentralen Punkt, an dem ich das festmachen könnte. Ich nähere mich dem deshalb mal etwas anders und versuche einen Sprung auf die Meta-Ebene.

Ich glaube, es fing tatsächlich mit der genderkorrekten Sprache an, die mich gestört hat, weil sie so unästhetisch ist. Dann die Feststellung, dass die propagierten Bilder von Beziehung, Sex und Liebe irreale Zerrbilder sind, quasi schlechte Fotokopien einer einzigen Facette dessen, was real ist oder sein könnte. Eine zeitlang habe ich mich sehr intensiv mit Sexualität beschäftigt, dem Wandel der diesbezüglichen Moralvorstellungen im Laufe der Geschichte, ihrer Wiederholungen und ihrer Entwicklungen, ihre Willkürlichkeiten. Ich habe jedes mir bekannte Buch & jeden Film besorgt, der in diesem Kontext indiziert und verfolgt wurde, habe mich fasziniert mit Prostitution und Pornographie beschäftigt. Und je mehr ich das tat, desto klarer und offensichtlicher wurde für mich der gap zwischen dem, was ich um mich herum als Realität wahrnahm, und meinem Eindruck davon, wie Menschen eigentlich sind, was sie antreibt, was sie wollen, und wie sie durch das Nacheifern dieser Zerrbilder sich eigentlich genau das vorenthalten, was sie suchen.

Ich habe den Eindruck, dass einige dieser Zerrbilder aus der Richtung des Feminismus kamen, kann jetzt im bewussten Rückblick aber nur zweierlei Ausprägungen klar benennen: Zum einen diese unsägliche Porno-Debatte, die regelmäßig wieder hochgekocht wird, zum anderen die Kriminalisierung von Prostitution, wie sie bspw. in Schweden existiert. Nicht auszuschließen, dass ich auch andere Zerrbilder unbewusst dem Feminismus zugeschlagen habe, weil dieser der lautstärkste Vertreter mit der Motivation ist, Sexualität und Beziehung in die Kategorien von richtig und falsch zu pressen und damit sogar den wirren Worte der Kirchen Konkurrenz macht.

Stück für Stück hat sich mir ein Beziehungsbild und ein Verhältnis zur Sexualität enthüllt, mit dem ich gut und glücklich leben kann und mit dem ich - zu meiner ehrlichen Überraschung - in meinen Freundes- und Bekanntenkreis auf weit mehr Zustimmung und Bestätigung oder doch immer mindestens Offenheit getroffen bin, als ich erwartet habe. Ich glaube, da ist mir so fundamental klargeworden, wie weit die eigenen Erwartungen an Normalität und das, was in den Köpfen der Menschen tatsächlich drin ist, auseinanderliegen. Aber weil wir alle eben mit dieser Normalitätserwartung rumlaufen, der wir alle nicht entsprechen und uns deshalb schuldig glauben, sprechen wir nicht darüber und erkennen deshalb nicht, das wir gar nicht Abweichler von irgendeiner Norm sind, sondern die geglaubte Norm von uns abweicht, wir also nicht alleine sind, sondern es uns nur glauben.

In diesem Zusammenhang las ich Ibsen - im Hinblick auf Feminismus könnte da Nora, oder ein Puppenheim als relevant gelten und begann, über diesen Themenkomplex zu kommunizieren. Auch Feminismus war dabei ein Thema. Nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Diskussion sondern als ein Austausch darüber, wie Feminismus erfahren und bewertet wird und auch hier stellte ich eben jene Diskrepanz fest zwischen Erwartungshaltung und Realität. 
Ein Beispiel ist, dass gerade auch viele Frauen es nicht gut fanden, dass sie vor Männern bei Einstellungen bei gleicher Eignung bevorzugt werden. Oder der nur leicht verdeckte Sexismus, der in der Ablehnung der Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare liegt, wohinter - wenn man etwas nachbohrt - zum einen das steckt, was du (?) im Podcast treffend als Muttermythos bezeichnet hast, also der Glaube, Mütter hätten ob ihres Frau-Seins eine quasi gottgegebene Qualifikation zum Erziehen von Kindern, an die ein Mann schon deshalb niemals herankommen kann, weil er das Kind nie in seinem Bauch getragen hat. Deshalb sind  dieser Logik nach auch zwei lesbische Frauen zur Erziehung von Kindern ungleich geeigneter als zwei schwule Männer.

Dazu kommt dann noch - jedoch selten ausgesprochen - diese absurde Vorstellung, (männliche) homosexuelle Eltern würden das Kind mit ihrer abweichenden Sexualität infizieren. [Off Topic: Dasselbe Argumentationsmuster hat übrigens auch Frau von der Leyen gebracht nach dem Motto, wer im Internet zufällig über Kinderpornographie stolpere werde angefixt und vergewaltige dann kleine Kinder. Wie beschädigt muss man psychisch eigentlich sein, um die Realitätsferne dieses Argumentationsmusters nicht zu erkennen?]

Die Ungleichbehandlung geht beim Sorgerecht weiter, was nicht nur bedeutet, dass insbesondere bei unehelichen Kindern der Vater fast keine Rechte hat, sondern sogar noch Pflichten. (Womit ich nicht die Unterhaltspflicht an sich kritisiere, sie ist gut und richtig, wird aber bei gleichzeitiger Versagung der Rechte zu einem Verstärker dieses Ungerechtigkeitsgefühls.)

Jetzt fragst du dich vielleicht, was hat das mit Feminismus zu tun? Ja, da musste ich jetzt auch erstmal kurz nachdenken, woher diese Gedanken gerade kamen. Ich denke es ist das Gefühl, dass hier die Kehrseite der Gleichberechtigung versagt wird. Das schmerzt, wenn man einen gewissen Sinn für Gerechtigkeit hat, und es erscheint mir eine plausible Hypothese, dass man diesen Schmerz unbewusst zurück auf den Feminismus projeziert, der eben diese Gleichberechtigung propagiert.

Auf einer Podiumsdiskussion im Dunstkreis Pornos im Internet wo ich mal war, war dann eine Bloggerin der maedchenmannschaft zu Gast, deren Standpunkte mir im Kontrast zum Sittenverfall-Kindesverstörungen-Weltuntergangs-Charme der Veranstaltung teilweise ganz erfrischend erschienen. Ich hab eine Zeit lang das Blog gelesen, aber ich fühlte mich dort schon nach wenigen (versuchten) Kommentaren sehr unwillkommen. Das gilt übrigens auch für mindestens eine Frau die ich kenne. @ekelias hat vorhin im Mumble ganz gut den Mechanismus analysiert, warum das so passiert ist.

Tja, ich denke das war der Zeitpunkt, wo ich das Thema erstmal ein wenig ad acta gelegt habe, nicht allein wegen der Reaktion, sondern weil auch andere Dinge kamen. Das Studium beispielsweise, wobei auch hier die Thematik latent präsent war, weil, wenn man ein wenig über die Paragraphen hinausschaut, man die Spuren jedes Zeitgeistes und aller geistigen Strömung in Gesetzen entdecken kann. Eine treffende Analogie ist vielleicht ein Baum, der in seinen Ringen ein Gedächtnis für seine Geschichte mit sich herumträgt.

Auf Grund einer gewissen Irritation die du bei mir hervorgerufen hast wegen deiner intensiven Befassung mit diesem Thema, habe ich mir dann euren Podcast angehört und habe vieles wiedergefunden, was ich selber denke.

So ungefähr ist mein Bild des Feminismus entstanden.

[Interthematische Ergänzung: Die Sache mit den Zerrbildern ist im Übrigen einer der Gründe, warum ich Liquid Democracy für so genial halte. Es ist als Werkzeug der kollektiven Selbstvergewisserung geradezu perfekt geeignet, solche Zerrbilder zu dekonstruieren.]

Dies ist eine Antwort auf den Kommentar von @laprintemps in Reaktion auf den Artikel 'Vom Feminismus zum Piratenfeminismus'. Leider war er zu lang für die Kommentarfunktion, daher ist er nun ein Blogpost.

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Sonntag, 17. Juli 2011

Vom Feminismus zum Piratenfeminismus

Im Podcast haben @laprintemps, @mueslikind und @fasel die Frage aufgeworfen, warum Piraten keine Lust haben, über Feminismus zu diskutieren. Ich dachte, ich versuche mich mal an einer Antwort, die  - zumindest subjektiv - wahr ist. Dies ist damit ein Blogeintrag über meine Vorurteile.

Feminismus ist schlichtweg ein rotes Tuch - ein ziemlich rotes. Das Vorurteil - zumindest meines - ist, dass Feminismus ein Thema ist, dass mit Rationalität nicht zu fassen, sondern extrem ideologiegetränkt ist, über das man so wenig Witze machen darf wie über den Holocaust (zumindest ist es ähnlich gefährlich) und bei dem Mann ohnehin immer der Schuldige ist.

Die Sprache
Die These, die deutsche Sprache diskriminiere Frauen durch das generische Maskulinum - ob nun zutreffend oder nicht - hat zu solchen Absurditäten wie dem sozialen Zwang zu gender-korrekten Formulierungen geführt, die sprachästhetisch schlichtweg ein Albtraum sind. (Ich habe Gesetzestexte, da habe ich erstmal mit dem Edding den ganzen Gender-Foo rausgestrichen, um den Text dahinter verstehen zu können.) 

Auch der Versuch, formal geschlechtslose Begriffe zu finden, hat den Haken, dass die Bedeutung häufig nicht dieselbe ist; am Beispiel "Teilnehmende" statt "Teilnehmer": Teilnehmende beinhaltet für mein Sprachgefühl - anders als Teilnehmer - immer auch die Nicht-Teilnehmenden, mit anderen Worten: Wenn mir jemand sagt, die Teilnehmenden hätten X und Y gemacht, dann frage ich mich spontan - ja und, was haben die Nicht-Teilnehmenden gemacht? Teilnehmer definiert eine Gruppe anhand einer gemeinsamen Eigenschaft (an etwas teilzunehmen), während Teilnehmende einen Teil einer Gruppe beschreibt, die danach geteilt ist, ob teilgenommen wird oder nicht.

Das mag man jetzt für Millimeterfickerei halten, aber bei solchen Versuchen schlägt immer mein Sprachmanipulationsdetektor aus. Gender-korrektes Formulieren hat eine starke Nähe zu political correctness, Euphemismus-Tretmühlen und Neusprech, also dem Glauben, einen sozial erwünschten Zustand oder ein Denken dadurch herstellen zu können, dass man die Sprache ändert, in der man darüber spricht. Solche Versuche fallen bei mir auf richtig giftigen Boden und logischerweise kriegt der Feminismus von dieser Abneigung seinen Teil ab.

Die Schuld-Suggestion
Feministische Debatten leiden häufig darunter, dass einem als Mann suggeriert wird, man sei daran Schuld. Beispielsweise, wenn Frau sich irgendwie unwohl fühlt. Ich nehme mal beispielhaft den Fall einer Frau, die ich nachts im Fahrstuhl auf einen Kaffee einlade und die sich dann ob der Situation (nachts, Fahrstuhl, 2m-großer Typ) unwohl fühlt.
Bin ich als Mann daran jetzt schuld? Nun, ich bin sicherlich ein kausaler Faktor, denn hätte ich sie nicht angesprochen, oder wäre ich gar nicht zu ihr in den Fahrstuhl gestiegen, dann hätte sie sich nicht unwohl gefühlt. Aber ganz ehrlich, ich fühle mich deswegen nicht schuldig und ich habe keine Lust, mir suggerieren zu lassen, ich müsste mich deswegen schuldig fühlen, denn ich habe mich innerhalb der Grenzen sozial angemessenen Verhaltens bewegt. Wenn sich Frau dabei unwohl fühlt (weil sie mir unterstellt, ich würde im nächsten Moment gewaltsam über sie herfallen), dann ist das - um es ganz deutlich zu sagen - das Problem anderer Leute.

(Wenn ich das vorher weiß und einen guten Tag habe, nehme ich auch auf solche individuellen Irrationalitäten, die wir alle haben, Rücksicht, aber nicht aus einer Verpflichtung heraus, sondern bloß aus Nettigkeit.)

Eine andere Facette, die glücklicherweise seltener anklingt, ist das generationenübergreifende Verantwortungsdenken. Genausowenig, wie ich (Schöpfungsjahr 1986) dafür verantwortlich oder schuldig bin, dass Nazideutschland Millionen Menschen umgebracht hat, bin ich dafür verantwortlich, dass Generationen vor mir Frauen diskriminiert haben. Die Kriege meiner Eltern sind nicht die meinen und ich bin nicht für sie verantwortlich, sondern bloß dafür, aus ihnen für mein eigenes Tun zu lernen.
Deshalb kann ich es gar nicht leiden, wenn mir gesagt wird, es sei nur fair, wenn ich als Mann gegenüber Frauen benachteiligt werde, immerhin sei Frau über Generationen von Männern benachteiligt worden. Ich wehre mich gegen eine Weltsicht, in der das eine mit dem anderen zu tun hat in der das eine als Rechtfertigung für das andere akzeptiert wird.

Die Aggressivität, die Abwertung von Männern und der absolute Wahrheitsanspruch
Der feministische Diskurs wird häufig mit einer verbissenen Aggressivität geführt, der keine alternativen Standpunkte duldet und im Manne einen generellen Feind sieht, der überall gegenwärtig ist, sogar in der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung. Die Wortschöpfung rape culture ist dafür ein gutes Beispiel.

Wer dagegen argumentiert, wird mit einer Aggressivität angegangen, die nicht auf den argumentativen Diskurs sondern die Diskreditierung des Gegenübers abzielt - als Frauenfeind, Maskulist, Biologist und andere -ismen. Frauen, die den entsprechenden feministischen Denk- und Handlungsstrukturen nicht folgen wollen (bspw. sich für die Rolle der Hausfrau entscheiden) sind schlichtweg von den Männern so indoktriniert, dass sie sich nicht frei für den "richtigen Weg" entscheiden können. Das ist ein typisches Argumentationselement, um seine Position jeder Überprüfung zu entziehen und unangreifbar zu machen. Und sowas kann ich einfach nicht leiden. Wer so argumentiert, kann alleine spielen.

Ausblick
Ich könnte das noch ein wenig fortführen, Stichworte Gleichberechtigung/Gleichstellung/Freiheit und Sex/Macht. Aber dazu fehlt mir gerade die Motivation, später vielleicht mal.

Wichtiger ist mir nämlich, eines festzuhalten: Das, was gegenwärtig unter dem Schlagwort Piratenfeminismus diskutiert wird, entspricht - zu meiner Überraschung - diesen Vorurteilen nicht. Vielmehr empfinde ich den Podcast als einen Einstieg in einen rationalen, unverkrampften und offenen Diskurs, in dem vielleicht auch wir Piraten neue Wege anbieten können. Ich bin gespannt.

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Samstag, 9. Juli 2011

Ein Gespenst geht um in Europa

Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst Echter Demokratie. In Spanien im Zuge der Demonstrationen vom 15. Mai erstmals in große Erscheinung getreten, ist der Schlachtruf ¡Democracia Real Ya! (Echte Demokratie jetzt!) dabei, sich über Spanien hinaus auszubreiten. Aufgenommen von griechischen Demonstranten, von Anonymous, diskutiert auf Facebook, findet eine Idee Einzug in immer mehr Köpfe.

Der Grund dafür, dass Bewegungen dieser Art von einem Land auf das nächste überspringen, ist nicht das Internet - zumindest nicht allein. Sicherlich, ohne die Geschwindigkeit und Breite der modernen Kommunikationsinfrastrukturen wäre dies nicht möglich - ursächlich ist aber, dass die Missstände, die Empörung, die tiefer liegenden Probleme, die Desillusionierung, die Forderungen und die Wut dieselben sind, egal ob man sich in Spanien, Griechenland, Italien oder einem anderen westlichen Land aufhält - lediglich die Intensität ist unterschiedlich ausgeprägt.

Es ist sehr erhellend, wenn man sich das Manifest der Real-Democracia-Bewegung im Detail anschaut:
Einige von uns bezeichnen sich als fortschrittlich, andere als konservativ. Manche von uns sind gläubig, andere wiederum nicht.
Einige von uns folgen klar definierten Ideologien, manche unter uns sind unpolitisch, aber wir sind alle besorgt und wütend angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Perspektive, die sich uns um uns herum präsentiert: die Korruption unter Politikern, Geschäftsleuten und Bankern macht uns hilf- als auch sprachlos.
Es wäre ein Fehler, dies als ein Stammtisch-Politik-Gebashe abzutun. Denn das Manifest thematisiert gleich drei große Krisen der westlichen Ideologie. Eine wirtschaftlich-soziale Systemkrise, eine Sinnkrise und eine politisch-institutionelle Systemkrise.

Da ist zunächst die wirtschaftlich-soziale Systemkrise, in der die aktuelle Finanzkrise nur eine Facette unter vielen darstellt. Es ist der Glaube an die unsichtbare Hand des freien Marktes, die zu einer optimalen Allokation der Ressourcen führe, auf dem jeder gleichberechtigt eine Chance habe, an dem sich die beste Idee durchsetze, der jeden ernähre der arbeitet und so gleichsam zu einer leistungsgerechten Gesellschaft führe; dieser Glaube ist es, der sich durch die Realität seiner eigenen Folgen selbst als Farce entlarvt.

Es gibt wohl keine geschichtliche Epoche, in der der materielle Wohlstand der Menschheit einen größeren Zuwachs erfahren als in den vergangenen 100 Jahren. Trotzdem sehen wir uns konfrontiert mit einer ständig zunehmenden sozialen Ungleichheit. So besitzen 2007 in Deutschland die reichsten 10% der Bürger 2/3 (!) des gesamten Volksvermögens, während ca. 50% der Bürger über keinerlei Vermögen verfügen, sondern direkt von ihrem Einkommen leben - von der Hand in den Mund sagte man früher dazu. 1 % der Bevölkerung besitzen über 20 % des gesamten Vermögens in Deutschland – und damit mehr als die unteren 80 % der Bevölkerung zusammengenommen.

In anderen westlichen Ländern ist das ähnlich, und jedes Kind sieht, dass das nicht einmal mehr ansatzweise gerecht ist; dass niemand so viel für die Gesellschaft leistet, dass ihm gerechterweise ein so großes Stück vom Kuchen auf Kosten der Übrigen zusteht. Wenn so aber das Ergebnis des westlichen Wirtschaftssystems lautet, dann ist die einzige sinnvolle Schlussfolgerung die Fehlerhaftigkeit des Systems.

Wenn in Spanien über 40% der jungen Generation arbeitslos sind - also weder am Wohlstand der Gesellschaft partizipieren noch zu ihm beitragen dürfen, dann läuft etwas ganz gravierend falsch.

Hinzukommt, dass wir das große Dogma, das quasi-religiöse Glaubensbekenntnis Wachstum bis heute nicht überwunden haben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die Medien in ihrer eigenen kultischen Zelebrierung um irgendeine Wachstumskurve tanzen - sei es nun das BIP, der Börsenkurs von Unternehmen oder der Eigenkapitalrendite der Deutschen Bank. Dabei ist spätestens seit 1978, also der Veröffentlichung der Studie Die Grenzen des Wachstums klar, dass ein grundlegendes Umdenken erforderlich ist, um die begrenzten Ressourcen dieses Planeten nachhaltig und zum Wohle der gesamtem Menschheit auf Dauer zu nutzen.

Das System des freien Marktes - zumindest in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung - ist diesen Herausforderungen erkennbar nicht gewachsen.
Ziel und Absicht des derzeitigen Systems sind die Anhäufung von Geld, ohne dabei auf Wirtschaftlichkeit oder den Wohlstand der Gesellschaft zu achten. Ressourcen werden verschwendet, der Planet wird zerstört und Arbeitslosigkeit sowie Unzufriedenheit unter den Verbrauchern entsteht.
Und das führt uns mitten in eine gesamtgesellschaftliche Sinnkrise. Wachstum kann nicht länger das Ziel sein, nur überleben und reicher werden - so man denn überhaupt zu den Profiteuren gehört - reicht nicht aus. Worauf aber soll sich das gesellschaftliche Streben dann richten? Im Manifest ist dazu zu lesen:
  • Gleichheit, Fortschritt, Solidarität, kulturelle Freiheit, Nachhaltigkeit und Entwicklung, sowie das Wohl und Glück der Menschen müssen als Prioritäten einer jeden modernen Gesellschaft gelten.
  • Es gibt Grundrechte, die unsere Gesellschaft gewähren muss: das Recht auf Wohnung, Arbeit, Kultur, Gesundheit, Bildung, politische Teilhabe, freie persönliche Entwicklung und das Recht auf Konsum von Gütern, die notwendig sind um ein gesundes und glückliches Leben zu führen.
Neben Freiheit, Gleichheit und Solidarität (Brüderlichkeit) - den Idealen der französischen Revolution - findet man die oben angesprochene Nachhaltigkeit sowie Wohl und Glück der Menschen und das Ziel ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Das kommt nicht von ungefähr, denn das westlich-wirtschaftliche System mag zwar zu Wohlstand geführt haben, aber es macht unglücklich und krank. Der rapide zunehmende Konsum von Anti-Depressiva und leistungssteigernden (und robotisierenden) Medikamente wie Ritalin kommt nicht von ungefähr - ohne Drogen ist dieses System für immer mehr Menschen nicht mehr zu ertragen.
Wir brauchen eine ethische Revolution. Anstatt das Geld über Menschen zu stellen, sollten wir es wieder in unsere Dienste stellen. Wir sind Menschen, keine Produkte. Ich bin kein Produkt dessen, was ich kaufe, weshalb ich es kaufe oder von wem.
Es ist nicht so, dass es für diese Probleme keine Lösungen gäbe. Eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen und Firmengewinnen kann die nötigen finanziellen Ressourcen nutzbar machen, ein bedingungsloses Grundeinkommen sowohl der zunehmenden sozialen Spaltung als auch dem krankmachenden Druck der Wirtschaft entgegenwirken und Tätigkeiten fördern, die nicht wirtschaftlich gewinnbringend, aber gesellschaftlich notwendig sind, usw. usf.

Diesen Probleme werden aber nicht angegangen, weil das politische System ungeeignet ist, echte Veränderungen durchzusetzen - letztes prägnantes Beispiel dazu ist die schwarz-gelbe Koalition in Deutschland, die in Zeiten von überschuldeten öffentlichen Haushalten, leerer Kassen und steigender Armut (mehr als 11 Millionen Bürger leben in Deutschland unter der Armutsgrenze) sich ernsthaft auf Steuersenkungen verständigt, weil das schließlich zum Profil der FDP gehört.

Diese politisch-institutionellen Krise ist der Korken, der den Geist der Demokratie, den Willen der Bürger in der Flasche hält und den dringend notwendigen Veränderungen im Wege steht.
Die Demokratie gehört den Menschen (demos = Menschen, krátos = Regierung), wobei die Regierung aus jedem Einzelnen von uns besteht. Dennoch hört uns in Spanien der Großteil der Politiker überhaupt nicht zu. Politiker sollten unsere Stimmen in die Institutionen bringen, die politische Teilhabe von Bürgern mit Hilfe direkter Kommunikationskanäle erleichtern, um der gesamten Gesellschaft den größten Nutzen zu erbringen, sie sollten sich nicht auf unsere Kosten bereichern und deswegen vorankommen, sie sollten sich nicht nur um die Herrschaft der Wirtschaftsgroßmächte kümmern und diese durch ein Zweiparteiensystem erhalten, welches vom unerschütterlichen Akronym PP & PSOE angeführt wird.
Diese Fundamentalkritik trifft nicht nur auf Spanien zu, sie ist eine generelle und zunehmend zu beobachtende Tendenz in westlichen Parteiendemokratien. Hier wirken mehrere Dinge zusammen - der Machtverlust von Politik gegenüber dem Markt, dessen Spitze des Eisberges sich kurz zeigt, wenn die EU-Staaten sich dem Diktat von Banken und Ratingagenturen unterwerfen, die zunehmende Verflechtung von Machtstrukturen zwischen Politikern, Wirtschaftsbossen, Medienmogulen und Finanzakteuren, die Abkapselung vom Bürger  und die immanente Mangelhaftigkeit starrer demokratischer Strukturen.

Die große Frage ist daher: Wie ziehen wir diesen Korken, damit wir endlich die dringenden Probleme dieser Epoche lösen können?

Klar ist: Dafür müssen wir das jetzige politische System grundlegend reformieren, wir brauchen mehr direktdemokratische Elemente und Einflussmöglichkeiten, mehr Transparenz und Kontrolle durch den Bürger, eine Entmachtung der Parteien und Hierachien. (Das alles steht so auch bereits mehr oder weniger explizit im Parteiprogramm der Piratenpartei). Die Frage aber ist, wie umsetzen? Sind die demokratischen Institutionen in Deutschland und anderen europäischen Nationen von Innen heraus überhaupt noch reformierbar? Und haben wir dafür die Zeit?

Es gibt immerhin eine Alternative: Europa. Natürlich hat die EU einen schlechten Ruf - und das überwiegend auch zu Recht. Sie ist bürokratisch und volksfern und ihr wohl größtes Problem ist ihr Demokratiedefizit. Kein vollwertiges Parlament, keine gewählte Regierung, kein den demokratischen Grundsätzen genügendes Wahlrecht, weil die Stimmgleichheit (one man, one vote) nicht gewährleistet ist und außerdem keine hinreichende Gewaltenteilung, da die Regierung (Exekutive) der Nationalstaaten auf Ebene der EU in Form des Rates der europäischen Union als Legislative auftreten und Richtlinien erlassen, die von den nationalen Parlamenten dann umgesetzt werden müssen. Über Bande zwingt damit die Regierung das Parlament zum Erlass von Gesetzen. Das kann für die Demokratie nicht gut ausgehen.

Aber die großen Probleme die wir lösen müssen, sind von Nationalstaaten ohnehin nicht mehr allein zu schultern. Nachhaltigkeit lässt sich nicht in nationalen Alleingängen herstellen, eine angemessene Besteuerung von Gewinnen bspw. ist nicht möglich, wenn die Nationalstaaten von der Wirtschaft gegeneinander ausgespielt werden können, ein Umdenken in den wirtschaftlichen Zielvorstellungen benötigt eine möglichst breite Basis und insbesondere erfordert jedes dieser Probleme, dass wir die Politik der nationalen Eitelkeiten überwinden, an denen sich das Versagen der Eliten am eindringlichsten zeigt.
Doch wenn wir uns zusammentun, können wir das ändern.
Es ist an der Zeit, Dinge zu verändern. Zeit, miteinander eine bessere Gesellschaft aufzubauen.
Wenn aber die großen Probleme, die wir zu lösen trachten, ohnehin in den europäischen Nationalstaaten die gleichen sind und im nationalen Rahmen nicht mehr gelöst werden können, wenn Bürger in Europa wegen derselben Probleme auf die Straßen gehen und sich miteinander vernetzen, wenn wir ohnehin erstmal echte demokratische Strukturen aufbauen müssen, um den Korken aus der Flasche zu bekommen - ist es dann nicht sinnvoll, gleich auf europäischer Ebene damit anzufangen und einen neuen Staat zu erschaffen, in dem wir Bürger Ton und Richtung angeben, in dem wir deshalb gerne leben und auf den wir stolz sein können?

Und wenn das so ist, ist dann nicht die Ausarbeitung und Verabschiedung einer europäischen Verfassung durch alle Bürger Europas ein logischer und lohnenswerter Weg?

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