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Die Kinderfresser-Bar

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Die Kinderfresser-Bar: August 2011

Montag, 29. August 2011

Alternativen zur europäischen Föderation?

Der Euro ist in einer Krise, denn er ist broken by design. Eine Währung in 23 Staaten, aber alle machen ihre eigene Finanz- und Haushaltspolitik und werden dabei natürlich von nationalen und nicht europäischen Interessen geleitet.

Das hat wohl auch Schäuble im Hinterkopf, wenn er sagt:
Der Euro ist eine Konstruktion, die in ihrem augenblicklichen Zustand nicht verharren kann.
Was bedeutet:
Auf dem Weg ins "Europa der Zukunft", würden die Staaten zwar immer nationale Identitäten bewahren... Aber in bestimmten Bereichen müssten sie "ein Stück ihrer nationalen Souveränität abgeben". So benötige die Gemeinschaftswährung Euro "zwingend" auch eine gemeinsame Finanzpolitik, um dauerhaft an den Finanzmärkten akzeptiert zu werden.
Eine europäische Finanzpolitik, die eine "Vergemeinschaftung des Zinsrisikos" verhindern soll, muss die Haushaltspolitik mit einschließen, zumindest in der Frage der Staatsverschuldung. Und weil fast jedes politische Handeln Geld kostet, ist der Haushalt der heilige Gral staatlicher Souveränität. Wer den Geldhahn kontrolliert, der ist auch mittelbarer Herr über fast jeden andere politischen Bereich.

Schon letztes Jahr deutete sich eine Entwicklung in diese Richtung an und seinerzeit gab Westerwelle zu bedenken:
Nicht die Europäische Kommission beschließt die Haushalte, sondern der Deutsche Bundestag und die nationalen Parlamente. Das zählt auch zum Kernbestand der Souveränität der Staaten.
Ganz ähnlich hat sich auch das Bundesverfassungsgericht im Lissabon-Urteil geäußert (Rn. 256), wenngleich es sich implizit die letzte Entscheidung selbst vorbehalten hat. Wenn Schäuble also von einem "Stück ihrer nationalen Souveränität" spricht, ist das noch geradezu beschönigend - Herzstück würde es besser treffen.

Man kann in der Auflösung der nationalen Souveränität ein Problem sehen, wenn man eine nostalgische Ader hat. Das aber wäre kurzsichtig, denn die Probleme unserer Zeit sind auf nationaler Ebene ohnehin nicht mehr zu lösen. Sogar Merkel spricht daher seit kurzem von "mehr Europa".

Mein Problem ist ein anderes: Die EU hat zwar durchaus demokratische Züge, die mit jeder Änderung der europäischen Verträge auch immer weiter ausgebaut wurden. Aber es fehlt noch immer viel zu viel. 

Es gibt zwar ein Parlament, aber das Wahlverfahren genügt nicht dem Anspruch an eine gleiche Wahl, weil Stimmen aus kleineren Staaten signifkant mehr Gewicht haben als die aus den Großen. Das Parlament hat auch kein Initiativrecht, d.h. es kann nur diskutieren und beschließen, was ihm von Kommission und Ministerrat vorgelegt wird. Die Kommission kann es zwar bestätigen, aber nicht vorschlagen und in wichtigen thematischen Bereichen wie im Wettbewerbsrecht oder der Außen- und Sicherheitspolitik hat es auch kaum Kompetenzen - das höchste der Gefühle ist eine unverbindliche Anhörung.

Ich hatte mich in der Diskussion ja bereits für eine demokratische europäische Föderation ausgesprochen (und träume damit den gleichen Traum wie Frau von der Leyen, gruselig... oder Joschka Fischer, was schon eher geht). Deshalb arbeite ich gegenwärtig an einem entsprechenden Antrag für das Grundsatzprogramm zum nächsten Parteitag.

Nun ist ja aber nichts alternativlos und in diesem Kontext frage ich mich: Welche Möglichkeiten und Alternativen sieht meine geneigte Leserschaft, um eine demokratische EU aufzubauen?

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Freitag, 12. August 2011

Ist Drogenkonsum wirklich straflos?

Auf Twitter kritisierte @zeitrafferin (Julia Seeliger) den Flyer der Berliner Piraten zur Suchtpolitik - denn dort steht als Forderung geschrieben, den gelegentlichen Konsum entkriminalisieren. Dabei haben wir doch alle schonmal gehört, Drogenkonsum sei gar nicht strafbar?

Die Kritik von Julia stimmt erst einmal, weil in einem liberalen Rechtsstaat sich jeder selbst schädigen darf, wenn er denn möchte. (Eine Konsequenz desselben Mechanismus, den ich in Datenschutz als Falle erläutert habe...)

Insofern ist das eine schlechte Formulierung im Piraten-Flyer, ohne Frage. Es geht vielmehr darum, den Konsumenten zu entkriminalisieren und nicht den Konsum (der wie gesagt legal ist). 

Davon völlig lösgelöst halte ich es trotzdem für fragwürdig, ob es klug ist zu propagieren, dass Drogenkonsum legal ist. Dahinter steckt das Bedürfnis, die eigene Position Jeder sollte ungestraft Drogen konsumieren dürfen, Recht auf Rausch argumentativ zu stützen. Und da ist es doch ein gutes Argument, dass Drogenkonsum schon gar nicht strafbar ist. (Ich teile die inhaltliche Position im Übrigen, aber das ist nicht der Punkt.)

Denn in der Realität gibt es den reinen Konsum überwiegend in Gedankenexperimenten, weil hier juristische Fachsprache und die Alltagssprache von ihrer Bedeutung nicht deckungsgleich sind. Der Jurist greift sich eine ganz bestimmte Handlung im Rechtssinne heraus (den Konsum) und attestiert ihr Legalität. Ein juristischer Laie aber läuft dann aber Gefahr zu glauben, Drogenkonsum sei unproblematisch. Der Jurist hat es ja gesagt.

Er raucht also einen Joint - Konsum ist ja legal. Leider aber hat er den Joint dabei in der Hand, ist also im selben Moment auch der Besitzer des Joints, und Drogenbesitz ist dann leider doch wieder strafbar.

Oder aber er weiß sogar inzwischen, dass er den Joint nur rauchen darf, wenn jemand anders ihn hält - weil er ihn dann nicht besitzt. Sein blaues Wunder erlebt er dann trotzdem, wenn sein Führerschein wegen Drogenkonsums einkassiert wird, weil die Behörden davon ausgehen, dass niemand in der Lage sei, zwischen Drogenkonsum und Autofahren zu trennen - das geht offensichtlich nur bei legalen Drogen. Und daher fehlt dem Kiffer dann die Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges und der Führerschein ist erstmal weg.

Klar, als Jurist kann man sich jetzt darauf zurückziehen, dass der Führerscheinentzug ja keine Strafe im Rechtssinne ist. Was formaljuristisch stimmt, aber in der Realität doch ohne Bedeutung ist. Denn der Betroffene empfindet den Führerscheinverlust als eine Sanktion für sein Verhalten. Und damit als Strafe.

Fazit
Natürlich kann man sagen, Drogenkonsum ist nicht strafbar. Aber dabei sollte einem immer klar sein, dass diese Aussage nur in der juristischen Denklogik wahr ist, in der Realität man aber trotzdem mit einem Bein im Knast steht und negative Konsequenzen befürchten muss. Und unter dem Aspekt der Verantwortung muss man das auch an denjenigen vermitteln, dem man gerade erzählt, dass Drogenkonsum nicht strafbar ist.

Deshalb muss es politisch auch darum gehen, den typischen Konsumprozess zu legalisieren um eben den Konsumenten zu entkriminalisieren. Und genau das fordern auch die Berliner Piraten in ihrem Wahlprogramm und schließen dabei - völlig  konsequent - den Anbau (Cannabis-Social-Clubs) und den Besitz (Befreiung der Regelung zur geringen Menge von Ausnahmetatbeständen) mit ein.

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Montag, 8. August 2011

Datenschutz als Falle

Es gab mal eine Zeit, da war klar, wer Freund und wer Feind ist. Datenschutz war gut, Überwachung war böse. Die Netzcommunity war sich einig - heute ist sie es nicht mehr. Die Uneinigkeit, welche sich zuletzt wieder im Streit zwischen "Spackeria" und "Aluhüten" ausdrückt, ist nicht Ursache, sondern das Symptom einer Veränderung.

Was ist passiert? Wie konnte es dazu kommen?

War es wirklich die plötzliche Erkenntnis des vielzitierten Kontrollverlustes? Waren es Personen wie @plomlompom oder @laprintemps, die diese Einigkeit zerstört haben - aus welchen Motiven auch immer?

Oder sind auch diese vielmehr bloß Spielfiguren, die in Reaktion auf einen politischen Schachzug nach besten Wissen und Gewissen handeln? Was zwischen damals, als wir uns noch einig waren und heute passiert ist, kann man am besten (ideologisch neutral) als Neudefinition der Bedrohungslage bezeichnen.

Die Kampflinie Datenschützer vs. Staat haben die großen Parteien durch massives agenda-setting abgelenkt auf Datenschützer vs. Google und Facebook.

Daraus resultiert auch die Heuchelei, die Erfassung von IP-Adressen als datenschutzwidrig darzustellen, während man gebetsmühlenartig eine Vorratsdatenspeicherung fordert die erst dafür sorgt, dass eine IP auf einen Anschluss zurückzuführen ist. Dieselbe Doppelmoral durchzieht die Aufregung um die biometrische Auswertung von Facebook-Fotos, wenn im selben Moment Geheimdienste und Ermittlungsbehörden selbst eben diese Daten von Facebook abgreifen und auswerten - sicherlich auch biometrisch. 
Insofern hat ein solches Feature in Social Networks sogar ein Gutes: Es macht den Benutzern klar, was möglich ist und es verhindert die Monopolisierung von Techniken zur Datenauswertung. Heute hat man mit Facebook einen Gegner gewählt, der nicht gerade die Sympathie von Datenschützern genießt, aber dieselbe Datenschutzlogik lässt sich schon morgen beispielsweise auf Open-Source-Software anwenden, die Biometrie betreibt. Und in dieser Hinsicht halte ich es klar mit der ersten Regel der Hackerethik:
Der Zugang zu Computern und allem, was einem zeigen kann, wie diese Welt funktioniert, sollte unbegrenzt und vollständig sein.
Über David und Goliath

Mir sei an dieser Stelle ein kurzer rechtlicher Exkurs gestattet, denn wenn man den dahinterstehenden Trick einmal verstanden hat, kann man ihn sehr viel leichter auch in anderen Konstellationen wiedererkennen.

Das, was hinter der ganzen Diskussionssuppe Datenschutz eigentlich steht, ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Grundrechte wiederum sind Abwehrrechte gegen den Staat. Das bedeutet sie sind dazu bestimmt, grundlegende Freiheitsräume der Bürger gegen den Staat zu schützen und diesen in seiner Machtausübung zu binden. 
Bildhaft gesprochen kommt Goliath (der Staat) in seiner Allmacht auf den wehrlosen kleinen David (den Bürger) zugestapft, der aber nicht erzittern muss, sondern das Grundgesetz zücken und damit die Angriffe von Goliath mühelos parieren kann. "Nein Goliath, du kriegst meine Daten nicht, denn meine Grundrechte schützen mich vor dir!"

Und jetzt ist es passiert, dass Goliath dieses Grundrecht nimmt, dass eigentlich David schützen soll, und sagt: "Siehe David, du hast ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Und deshalb muss ich jetzt Facebook und dir vorschreiben, was du mit deinen Daten tun und lassen darfst - nicht, dass deiner informationellen Selbstbestimmung etwas zustößt..." So wird das Grundrecht, dass eigentlich einen Freiheitsraum schützen soll zur Rechtfertigung, eben diesen Freiheitsraum zu beschneiden.
Wir dürfen nicht ein fundamentales Prinzip der Verfassung nehmen, und es gegen einen Bürger wenden!
Jean-Luc Picard 

Dieser Trick ist nicht neu. Wir kennen ihn aus der Diskussion um Paintball, Laserdrome und Flatrate-Freudenhäuser. Auch hier wird ein Grundrecht - in diesen Fällen die Menschenwürde - als Rechtfertigung genommen, um damit die Freiheit der Paintball- und Laserdrome-Spieler und Sexarbeiter zu beschneiden. Soweit der Exkurs, zurück zum Thema.

Der Fuß in der Tür

Das künstlich aufgebaute Problem Datenschutz im Internet ist nur eine weitere Kampflinie beim Versuch, einen Fuß in die Tür zu bekommen, um das Netz zu regulieren und zu kontrollieren. Es steht so in einer Reihe mit der Lüge vom Milliardenmarkt Kinderpornographie, der Lüge, die Tat des christlich-fundamentalistischen Terroristen von Oslo sei im Internet geboren (und natürlich nicht aus der Hasskultur, die geistige Brandstifer aus der bürgerlichen Mitte säen und nähren) und anderen Täuschungen.

Von all diesen Versuchen ist er aber der, mit den größten Erfolgsaussichten. Warum?

Weil er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlägt. Während Kinderpornos, Beleidigungen und Massenmord "lediglich" das Bild eines Netzes zeichnen, dass kriminell und gefährlich ist und deswegen reguliert werden muss, lenkt die Umdefinition der informationellen Selbstbestimmung darüber hinaus noch den Blick davon ab, dass die größte Bedrohung derselben nach wie vor vom Staat ausgeht und nicht von privaten Datensammlern.

Denn im Gegensatz zu Facebook oder Google, wo niemand mitmachen muss, nimmt sich der Staat gegen meinen Willen im Geheimen alle Daten über mich die er haben will - und nicht einmal nur bei mir, sondern auch bei Dritten (auch bei Facebook und Google). Und anders als Private hat der Staat die Möglichkeit, Druck und Gewalt gegen mich auszuüben, wenn ihm die Informationen über mich irgendwie missfallen.

Der gefährlichste Effekt der Umdefinition der informationellen Selbstbestimmung ist aber die Spaltung der Netzcommunity. Seitdem sich die Feinde der Freiheit in den Mantel der Datenschützer gehüllt haben, sind die Fronten nicht mehr klar und eine einst (in dieser Frage) geeinte Gruppe steht sich nun als Gegner gegenüber und betrachtet die jeweils andere Seite als Verräter des gemeinsamen Zieles.

Die Datenschützer vom staatlichen Überwachungsplänen abgelenkt, der Bevölkerung vorgegaukelt, man würde etwas für ihre digitale Sicherheit tun, das Bedrohungsszenario verzerrt, den politischen Gegner gespalten.  Ich muss sagen: Dies war ein wirklich guter politischer Trick. Ich werde ihn mir merken.

Schurken, die ihre Schnurrbärte zwirbeln sind leicht zu erkennen, aber diejenigen, die sich in gute Taten kleiden, sind hervorragend getarnt.
Jean-Luc Picard 

Für uns ist es nun wichtig, dass wir uns dieser Taktik aktiv verweigern. Wir dürfen uns nicht dazu missbrauchen lassen, den freiheitsfeindlichen Strömungen bei der Beschneidung unserer Freiheiten den Weg freizumachen, nur weil sie das Banner des Datenschutzes vor sich hertragen.

Das bedeutet:

  • Den aufgezeigten Mechanismus verstehen und nachvollziehen.
  • Erkennen und Bedenken, dass informationelle Selbstbestimmung nicht nur ein negatives Recht ist um Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre abzuwehren, sondern - wie jedes Grundrecht - auch eine positive Seite hat, nämlich das Freiheitsrecht, sich bewusst öffentlich zu machen und sich zu präsentieren.
  • Klarmachen, dass Selbstbestimmung und nicht Fremdbestimmung das Ziel sein muss
  • Für den privaten Umgang von Menschen mit Daten eine Ethikdebatte führen, diese vorleben und darüber aufklären. Deshalb auch der Entwurf von Michael Vogel und mir für eine Datenethik.
  • Für Firmen, in deren kapitalistischer Handlungslogik Ethik keinen Platz hat, bessere Gesetze einfordern, bspw. den Datenbrief und den Entschädigungsanspruch bei Datenmissbrauch
  • Uns nicht auf die Argumentation einlassen, anderen Ländern müsste man unsere Gesetze aufzuzwingen.
  • Den Schwerpunkt wieder auf den Staat als größte Bedrohung der informationellen Selbstbestimmung legen, also auf Vorratsdatenspeicherung, unverhältnismäßige Verletzungen der informationellen Selbstbestimmung wie beim Dresdner Handyüberwachungsskandal, mangelnde Datensicherheit von Behörden, SteuerID, etc.

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Sonntag, 7. August 2011

Datenethik als Richtungsweiser im Informationszeitalter

Spackos und Aluhüte, Datenschutz und Transparenz, Öffentlich und Privat. Wie muss sich unsere Gesellschaft verändern, um im Informationszeitalter zu bestehen? Und was müssen wir dabei lernen? Ein Manifest - und ein Diskussionsanstoß.


PROLOG

Die Welt ist im Umbruch, verursacht durch die aufkommende Informationsgesellschaft. Menschen tauschen Informationen mit Anderen aus - und es werden stetig mehr.

Während die Vernetzung die aufkommenden Demokratiebewegungen in aller Welt massiv unterstützt hat - was einhellig begrüßt wurde - gibt es auf der anderen Seite auch Bedenken gegenüber derselben Vernetzung, wenn es um das Verbreiten persönlicher Informationen geht.

Wie nahezu jede Sache kann Vernetzung positiv als auch negativ genutzt werden. Die negativen Auswüchse bringen immer schnell Rufe nach einem stärkeren Datenschutz hervor, häufig verbunden mit teils sehr unrealistischen Forderungen.

Viele dieser Reaktionen berücksichtigen nicht, dass sich die Welt mittlerweile geändert hat. Wir erzeugen nicht nur immer mehr Daten - auch immer mehr Menschen sind im Besitz dieser Daten. Sie führen umfangreiche Adressbücher, erstellen Videos und Fotos und stellen diese anderen zur Verfügung. Oft genug geschieht dies, ohne sich ausreichend Gedanken über mögliche Folgen gemacht zu haben.

Die große Anzahl von Datenverarbeitern macht es unmöglich, den Fluss von Daten alleine durch Gesetze regulieren zu wollen.

Gesetze sind ein wichtiges Mittel, wenn es um Datenverarbeitung durch gewerbliche Verarbeiter geht. Auf Privatmenschen jedoch sind sie kaum anwendbar. Die Hand des Gesetzes erreicht nicht die Computer Privater und im Hinblick auf Freiheit und Überwachung ist auch ein Staat nicht erstrebenswert, der im Namen des Datenschutzes seinen Bürgern bei der Datenverarbeitung über die Schulter schaut.

Die Pioniere des Informationszeitalters, die Hacker, standen schon früh vor ähnlichen Fragen. Ihre Antwort war ein Verhaltenskodex: die Hackerethik.

Dieser Kodex hat das Selbstverständnis der Hackerkultur bis heute entscheidend geprägt. Nicht, weil eine staatliche oder technische Autorität diese Regeln erzwungen hat, sondern weil sich die Mehrheit aus eigener Überzeugung an diese Regeln hält und Übertretungen missbilligt werden.

Es ist nun an der Zeit, einen Kodex für die ganze Informationsgesellschaft zu finden. Es ist Zeit für eine Datenethik.


ERSTES DATENETHISCHES MANIFEST

Du bestimmst über deine Daten.
Deine Freiheit, über die Verwendung deiner Daten selbst zu bestimmen, ist der zentrale Grundsatz. Es liegt an dir, ob du viel, wenig oder gar nichts über dich veröffentlichen möchtest. Es ist dein Recht darüber zu bestimmen und deine Pflicht andere darüber zu informieren, damit sie deinen Wunsch respektieren können.

Privatsphäre beginnt dort, wo dein Gegenüber seine Grenze zieht, nicht aber dort, wo du sie ziehen würdest.
Menschen sind unterschiedlich. Was du ohne mit der Wimper zu zucken veröffentlichen würdest, kann für einen anderen ein intimes Detail sein und umgekehrt. Du musst daher keine Daten von Personen schützen, die dies nicht wünschen - andererseits aber auf Wunsch persönliche Informationen auch dann vertraulich behandeln, wenn du es selbst nicht nachvollziehen kannst. Respektiere das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Individuums und setze nicht deine persönliche Sicht der Dinge an seine Stelle, denn auch deine Privatsphäre hängt von der Rücksichtnahme Anderer ab.

Veröffentliche keine Daten Anderer ohne Erlaubnis, wenn nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.
Spiegelbildlich zum Selbstbestimmungsrecht über deine eigenen Daten bist du in der Pflicht, das Selbstbestimmungsrecht Anderer zu respektieren. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass das öffentliche Interesse an einer Veröffentlichung gegenüber dem Interesse des Individuums deutlich überwiegt, beispielsweise, wenn du Straftaten, Korruption oder andere Missstände aufdecken willst. Doch auch hier solltest du abwägen, wie detailliert eine Veröffentlichung im Einzelfall sein muss, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen.

Menschen haben ein Recht auf Anonymität und Pseudonymität.
Akzeptiere, wenn jemand seine wahre Identität nicht preisgeben möchte. Versuche nicht, seine wahre Identität zu recherchieren. Solltest Du wissen, wer sich tatsächlich hinter einem Pseudonym verbirgt, respektiere den Wunsch, pseudonym zu bleiben. Behalte dein Wissen für Dich, falls nicht ausnahmsweise die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse daran hat.

Veröffentliche keine Daten, die nicht öffentlich sein sollen.
Mache dir bewusst, was Öffentlichkeit bedeutet. Sei dir immer im Klaren, was mit Daten geschehen kann, die du verbreitest. Selbst wenn sie nur für eine kleine Gruppe gedacht waren, rechne damit, dass sie sich weiter verbreiten könnten. Gehe immer davon aus, dass die verbreiteten Daten eine erheblich größere Zielgruppe erreichen könnten als du ursprünglich beabsichtigt hast. Deswegen überlege stets, ob du sie wirklich - und wenn ja - ob du sie in dieser Form verbreiten möchtest.

Öffentliche Daten sind öffentlich, du kannst sie nicht zurückholen.
Was einmal öffentlich ist, kann nur schwer bis gar nicht aus der Öffentlichkeit wieder vollständig entfernt werden. Daten sind frei kopierbar, und dies wird auch immer wieder nach Belieben und Beliebtheit der Daten geschehen. Führe dir das immer vor Augen, bevor du etwas veröffentlichst. Rechne daher damit, dass jede Veröffentlichung endgültig ist.

Auch wenn private Daten bereits öffentlich sind, verbreite sie nicht dem ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen zuwider weiter, es sei denn, es besteht ein berechtigtes Interesse daran.
Sollten private Daten gegen den Wunsch eines Betroffenen oder aus Versehen veröffentlicht worden sein, respektiere die Bitte des Betroffenen, sie nicht weiter zu verbreiten. Eine Ausnahme ist auch hier im Einzelfall das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit.

Jeder Mensch hat das Recht, öffentliche Daten zu nutzen und zu verarbeiten.
Öffentliche Daten dürfen von jedem genutzt werden. Sie sind eine unendliche, und jedem zur Verfügung stehende Ressource, eine Quelle für Wissen und Erkenntnis. Durch das Vernetzen verschiedener Datenquellen lassen sich viele neue Dinge erschaffen, die der Allgemeinheit nutzen können.

Deine Daten können Gutes schaffen. Entziehe sie nicht der Allgemeinheit, wenn sie deine Privatsphäre nicht bedrohen.
Du hast zwar die Freiheit über deine Daten zu bestimmen, aber bedenke dabei die damit einhergehende Verantwortung, sie wenn möglich zum Wohle der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Enthalte daher deine Daten der Öffentlichkeit nicht nur aus Prinzip vor, sondern nur, wenn der Schutz deiner Privatsphäre es erfordert.
Nimm als Beispiel die Diskussion um Google StreetView: Zeigt dich ein aufgenommenes Bild in einer peinlichen Pose oder könnte es dich in eine missliche Situation bringen, so hast du ein berechtigtes Interesse daran, dass dieses Bild gelöscht wird. Aber überlege dir, ob es wirklich deine Privatsphäre gefährdet, wenn ein Foto der Außenwand deiner Wohnung veröffentlicht wird, die ohnehin jeder anschauen kann. Ist nicht vielleicht der Nutzen für die Allgemeinheit ungleich größer, auf diese Daten zugreifen zu können?

Fordere nichts Unmögliches.
Auch wenn du grundsätzlich frei über deine Daten entscheiden darfst, mache dir klar, dass es technische und soziale Grenzen bei der Umsetzung deiner Entscheidung gibt. Beachte dies und stelle dich darauf ein.

Verzeihe, wo du nicht vergessen kannst.
Auch das Netz kann vergessen, aber es vergisst wenig. In diesem Rahmen muss eine Gesellschaft mehr verzeihen um den sozialen Frieden zu wahren und eine Rehabilitation zu ermöglichen. Jeder Mensch macht Fehler - je offener wir mit unseren eigenen Fehlern und Fehlern anderer umgehen können, desto besser können wir alle aus ihnen lernen.


UNTERZEICHNER
  • Benjamin Siggel
  • Michael Vogel
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Samstag, 6. August 2011

A message from the Syrian Revolution

Some days ago, I got a message from Syria with the request to make this document public to support the Syrians in their Nonviolent Struggle for Democracy.

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Mittwoch, 3. August 2011

IPv6 - die Massenvernichtungswaffe 2.0 von morgen?

Stell dir vor, die Grünen kämen an und würden fordern, sofort und umgehend nicht nur aus der Kernenergie auszusteigen, sondern auch alle Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland abzuschalten, weil die so umweltschädlich sind. Und wenn dann jemand kritisch fragen würde Aber wo sollen wir denn dann unseren Strom hernehmen, käme als Antwort: Aus der Steckdose.

Deutschland würde sie auslachen - und aufhören zu wählen. Weil jeder weiß, dass Strom erst in Kraftwerken erzeugt werden muss, damit er aus der Steckdose kommen kann.

Das große Drama ist, dass ähnlich substanzloses Gerede beim Thema Digital- und Netzpolitik nur dazu führt, dass die ominöse Internet-Community das mit dem Auslachen macht, weil Politiker und Journalisten die Absurdität des Gesagten mangels Verständnis überhaupt nicht erkennen. Ich erinnere nur an das digitale Radiergummi, an die Internetsperren, usw.

Aktuelles Beispiel sind Sie, Herr Keuner, von der SPD, der in IPv6 eine Gefahr sieht, mit größerem Schadenspotential als die Entdeckung der Kernspaltung. Da kann man schon von der Überschrift nicht viel erwarten, wenn ein technisches Protokoll, also eine Übereinkunft, wie einzelne Computer miteinander kommunzieren, gefährlicher sein soll als eine Technologie, die Menschenleben kostet, Landstriche für Jahrmillionen unbewohnbar macht und Müll produziert, den wir am liebsten in den Weltraum ganz weit weg schießen würden, wenn das denn ginge.

Aber was dann noch als Erklärung kommt, ist wirklich dermaßen hahnebüchen...
IPv6 - das neue Internetprotokoll - mit demjeder PC, jedes Handy, jedes Auto, jeder Fernseher, jedes irgendwie direkt oder indirekt mit dem Internet verbundenes Gerät, weltweit lebenslang überwacht werden kann, mit Speicherung von Verhaltensprofilen, Bewegungsdaten, Telefonaten, Internetverbindungen, gesehenen Fernsehprogrammen, gefahrenen Fahrtrouten, zugehörigen Personenbildern, Inhalt des Kühlschranks, wo und wann zu welchem Preis gekauft, etc. etc..
What? Was soll eine indirekte Verbindung mit dem Internet sein, wo man noch eine öffentliche IPv6-Adresse hat? Woher haben Sie die Mär, dass Telefonate (also Inhalte!) gespeichert werden, oder Internetverbindungen, wo es doch nur um Adressen geht? Oder gar der Inhalt des Kühlschrankes? Was Sie da diffus meinen, ist wohl, dass ein Gerät mit IPv6 eine lebenslang gültige Adresse haben KANN. Kann, Herr Keuner, das ist kein Zwang, das kann man mithilfe der im Protokoll extra dafür vorgesehenen Privacy Extensions verhindern.
Und es gibt auch gute Gründe, das nicht zu tun, weil es viele Anwendungsfälle gibt, wo man gerade unter derselben Adresse erreichbar sein will. (Deshalb gibt es auch solche Workarounds wie DynDNS.org usw.)
Und selbst wenn man eine lebenslange Adresse hat, werden deswegen noch nicht die Kommunikationsinhalte gespeichert (von wem denn auch?)

UPDATE: Übrigens gibt es auch bei IPv4 statische Adressen. Das ist nix Neues. Und die großen Endkunden-Provider haben schon angekündigt, IPv6-Adressen weiter dynamisch zu vergeben. Unter anderem auch, damit aus der IP-Adresse nicht ein Bestandsdatum wird, dass dann von Vater Staat viel einfacher abgeschnorchelt werden kann... (Danke für den Hinweis an @finkregh.)
Die Vergabe von IPv6-Nummern (gleich für welches Gerät) darf nur auf ausdrücklichen Wunsch des Besitzers geschehen und ist auf dessen Wunsch wieder kostenfrei zu entfernen.
Wie kann denn eine IP gegen den Willen des Besitzers an sein (!) Gerät vergeben werden. Und warum soll sie jemand anders entfernen, darüber hat doch jeder selbst die Macht? 

Und selbst wenn: Also so ohne IP-Adresse, nachdem die kostenfrei entfernt wurde - was dann? Was machen Sie, Herr Keuner, nachdem Sie von Ihrem Telefon Ihre Telefonnummer haben kostenfrei entfernen lassen, eigentlich mit Ihrem Telefon? Sich beschweren, dass es nicht mehr funktioniert? Als Briefbeschwerer benutzen? 
Oder soll der Provider dann - für jedes Gerät - IPv4-Adressen vergeben, die leider aufgebraucht sind, weshalb wir ja gerade IPv6 endlich (!) einführen? Ist Ihnen eigentlich klar, dass es auch jetzt schon diese IP-Adressen gibt? (Das sind die, die Ihre Partei gerade Hand in Hand mit der CDU/CSU verdachtslos für Monate speichern lassen will.)
Die Funktion eines technischen Geräts (z.B. Handy, PC, Navigationssystem, Auto, etc.) darf nicht davon abhängig gemacht werden, ob ihm eine IPv6 zugeordnet wurde, oder nicht, und ob er der Datennutzung zugestimmt oder widersprochen hat.
Achja. Und wie soll ein Gerät ohne IP-Adresse funktionieren? Und von welcher Datennutzung sprechen Sie eigentlich? Die Übertragung der IP-Adresse an die Gegenstelle? Passiert auch mit IPv4 schon. Muss passieren. Oder Sie schicken jetzt einen Brief an meinen besten Freund. Und Sie dürfen das nicht davon abhängig machen, ob ich Ihnen Namen und Adresse sage.
Die Nutzung von direkt oder indirekt unter Nutzung einer IPv6 gewonnenen Daten sind vollumfänglich dem Betreffenden (Geräteinhaber) mitzuteilen und dürfen ohne dessen ausdrückliche Erlaubnis nicht gespeichert werden, sondern sind sofort zu löschen. Kopien von derartigen Daten anzufertigen ist verboten, ebenso die Weitergabe an Dritte.
Achso, jetzt brauchen wir nach der absurden Sendezeitbegrenzung im Internet und der ebenso absurden Cookie-Richtlinie also eine Mitteilung von jeder Gegenstelle an den Inhaber einer IP-Adresse, dass er die IP-Adresse bekommen hat. Achja. Das dürften pro Tag einige Tausend bis Hunderttausend Mitteilungen für jeden Surfer sein, mal ganz davon abgesehen, dass die Gegenstelle gar nicht weiß, wohin sie diese Mitteilungen schicken soll, deren Inhalt ohnehin völlig belanglos ist. Denn eine IP-Adresse ist erstmal nur eine Adresse eines Computers. Welcher Mensch dahintersteht und wo man den erreichen kann, weiß die Gegenstelle nicht - und bitte, sie soll es auch gar nicht wissen!

(Wenn wir aber schon bei Mitteilungen sind - wollen wir stattdessen vielleicht über den Datenbrief nachdenken?)

Und dann lieber Herr Keuner schreiben Sie noch:
Also ist dringend gefordert, dass sich nicht nur wenige Fachleute und ein paar Datenschützer damit befassen, sondern der Bundestag und seine Gremien...
Bitte! BITTE! Gehen Sie noch einen Kaffee trinken, machen Sie Urlaub oder sorgen Sie dafür, dass wir in Deutschland endlich wieder ein Wahlrecht haben, aber BITTE lassen Sie diese Dinge, von denen Sie offenkundig nicht den blassesten Schimmer habt, einfach in den Händen dieser wenigen Fachleute. Bitte! Und wenn Sie mir nicht glauben, dass Sie keine Ahnung haben, dann lesen Sie nochmal nach über den Dunning-Kruger-Effekt.

Oder wir treffen uns auf ein Bier - so ganz freundlich und vertraulich unter Menschen in einer Kneipe und wir sprechen da mal drüber. Ganz ohne Parteipolitik und Internet, und Sie dürfen mich alles fragen was Sie wollen. Ohne dass ich Sie auslache oder darüber blogge oder twittere - Versprochen!

Denn mit einer Feststellung haben Sie Recht: Digital- und Netzpolitik sind eine der größten Aufgaben der nahen - und übrigens auch fernen - Zukunft. Und wir werden sie nicht meistern, wenn wir es nicht schaffen, qualifiziert (!) darüber zu sprechen.

Update: Besim Karadeniz von Netplanet.org analysiert das ganze im Hinblick auf die Social Media Strategie der SPD...

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